Max und sein Bruder sind neu im Dorf. Der zweite Weltkrieg ist noch nicht lange vorbei, wird von den Eltern aber in Schweigen verhüllt. Auch sonst haben sie den Kindern nicht viel zu erzählen. Die spielen größtenteils sich selbst überlassen in der Natur und in Ruinen. Einige von ihnen erfreuen sich an Gewalt. Max und seine Freunde wollen das nicht länger hinnehmen, kennen aber selbst keine anderen Mittel. Volker Widmanns Die Molche ist ein Coming of Age Roman und zugleich ein erschütterndes Porträt der Nachkriegs-BRD, in der sich eine große unheilvolle, nähere Vergangenheit in den Kindern reproduziert.
Die Qualen des Menschen: Heaven von Mieko Kawakami
“Mein leben glich dem stillen Dasein eines Möbelstücks”: Der 14-jährige Ich-Erzähler aus Mieko Kawakamis Roman Heaven beschreibt so sein Leben zuhause (59). In der Schule ist er eher Boxsack, der von seinen Mitschülern gequält wird. Erst als er einen Brief in seinem Federmäppchen findet, schimmert etwas Licht in seinem tristen Alltag. Wird am Ende der Qualen etwas Himmlisches warten?
Frei leben: Der perfekte Kreis von Benjamin Myers
“Nähre den Mythos und strebe nach Schönheit”, so lautet das Motto von Redbone und seinem Kumpel Calvert, zwei Männer mittleren Alters, die die Wochenenden des englischen Sommers damit zubringen, riesige Kornkreise zu erschaffen. Benjamin Myers Roman Der perfekte Kreis ist ein Buch über Freundschaft, Schaffenslust, Natur und das freie Leben.
Zitternd schöner Zauber der ersten Male: Der große Sommer von Ewald Arenz
Noch so ein Sommer für die Ewigkeit: Benedict Wells Hard Land entführte uns bereits in einen prägenden Sommer, nun nimmt uns Ewald Arenz’ Der große Sommer mit ins Jahr 1981. Auch in dieser Coming of Age Geschichte macht der jugendliche Friedrich Erfahrungen, die ihn aus der Kindheit ins Erwachsenenleben führen.
Inseln. Die Kartierung einer Sehnsucht von Gavin Francis
Die Sehnsucht nach Inseln hat sich in der gegenwärtigen Situation nur verstärkt. Eine Woche Mallorca, das muss scheinbar sein, selbst wenn schon der Naherholungsurlaub problematisch erscheint. In der F.A.Z. war neulich zu lesen, dass die Nachfrage nach eigenen Inseln unter den Superreichen im letzten Jahr stark gestiegen sei. Gavin Francis, seines Zeichens praktizierender Arzt und insula-phil, schrieb Inseln. Die Kartierung einer Sehnsucht bereits 2019, doch das Thema Isolation, das bei Inseln immer mitschwingt, ist, wie Francis im Vorwort feststellt, drängender als zuvor.
Kathedralen der Kindheit: Am Rand der Dächer von Lorenz Just
Eine Jugend in Berlin: Umbrüche, Aufbrüche, Verlust der Unschuld – nach seinem eher durchwachsenen Erzählband Der böse Mensch legt Lorenz Just mit Am Rand der Dächer seinen Debütroman vor. Wie üblich für Debüts, ist es ein Coming of Age Roman, angesiedelt im Berlin der Wendejahre, der seinen Erzähler Andrej bis zur Jahrtausendwende begleitet. Beste Voraussetzung für eine aufregende Erzählung eigentlich, könnte man meinen. Aber von Sturm und Drang fehlt in der Sprache jede Spur.
Selbstbestimmt oder verrückt? Die Wahnsinnige von Alexa Hennig von Lange
Alexa Hennig von Langes neuer Roman Die Wahnsinnige beleuchtet das Leben einer Königin ohne Macht: Johanna von Kastiliens impulsiver Drang nach Selbstbestimmung kollidierte mit den Machtstrukturen ihrer Gesellschaft und brachte ihr den Beinamen “die Wahnsinnige” ein. Mehr als an der Schilderung historischer Fakten ist Alexa Hennig von Lange an der zeitgemäßen Frage interessiert, wie viel Selbstbestimmung eigentlich möglich ist.
Der Putz bröckelt: Sh*tshow von Richard Russo
Was ist nur los in Amerika? Am Morgen nach den Wahlen laden die Pensionäre David und Ellie zwei lang befreundete Eheleute ein – “das Bedürfnis nach tröstender Gesellschaft” bringt sie dazu (7). Vor allem Ellies “Wahlabendkater” ist schlimm – eine fundamentale Verunsicherung frisst sich in ihr Leben. Sh*tshow von Richard Russo ist eine kurze Novelle, die leichtfüßig von einem gespaltenen Amerika erzählt.
Das kalte Dorf: Power von Verena Güntner
Kerze sucht nach Power: So metaphorisch aufgeladen könnte man die Handlung von Verena Güntners Roman prägnant zusammenfassen. In Power erzählt sie von dem vorpubertären Mädchen Kerze, das sich auf die Suche nach dem entlaufenen Hund (Power) einer einsamen, älteren Dorfbewohnerin macht, um die sich sonst keiner weiter kümmert. Die Suche gestaltet sich schwierig, aber Kerze kennt keine Angst und hält immer alle Versprechen. Schließlich beschwört sie damit eine handfeste Krise in ihrem Dorf herauf.
Der ganz normale Wahnsinn: Die Weihnachtsgeschwister von Alexa Hennig von Lange
Alexa Hennig von Lange hat für ihren Roman Kampfsterne viel Aufmerksamkeit bekommen letztes Jahr. Ihr vielstimmiges 80er Jahre BRD-Gesellschaftsportrait ist ein rasant erzählter Text, der sich zum Ende hin zu überschlagen drohte. Ihr neuer, halb so langer Roman Die Weihnachtsgeschwister bietet weniger dramaturgischen Bombast und gehört für mich zu ihren besten Texten seit dem Debütroman Relax und der Novelle Woher ich komme. Er passt natürlich auch wunderbar in die Jahreszeit.