Die Frage, wie wir Leben wollen, ist unausweichlich mit dem Ort dieses Lebens verwoben. In zunehmendem Maße ist dieser Ort die Stadt. Während dort die Mietspiegel stetig steigen und man sich fragt, wer sich das alles überhaupt noch leisten kann, haben Dörfer fernab der Speckgürtel mit Überalterung und dem Fehlen der Annehmlichkeiten moderner Lebenswelten zu kämpfen – jeder, der in Brandenburg mobil ins Internet will, weiß, was ich meine. Jan Brandt hat mit Ein Haus auf dem Land/Eine Wohnung in der Stadt zwei Bücher in einem geschrieben – einmal erzählt er von seinem Leben in Berlin und einmal von seiner ostfriesischen Herkunft und dem Kampf um den Erhalt des Hauses seines Urgroßvaters.
Jan Brandts persönliche, buchlange Essays stellen den Leser vor eine Entscheidung: Welchen der beiden Texte will man zuerst lesen? Ein Haus auf dem Land/Eine Wohnung in der Stadt hat zwei Cover – es sind sogesehen zwei Bücher, die in einem gebunden wurden. Natürlich sind sie thematisch auch verwandt und es gibt hier wie da Querverweise. Man könnte die Aufteilung in zwei Bücher also durchaus auch als Spielerei betrachten. Ich entschied mich für Eine Wohnung in der Stadt (wie im wahren Leben). In diesem Essay hat Jan Brandt chronologisch seine Erfahrungen in Berlin niedergeschrieben. Er zog 1998 in die Hauptstadt, die zu jener Zeit mehr Einwohner verlor als sie hinzu gewann und über reichlich unsanierten, spott billigen Wohnraum verfügte. Für Brandt eine ideales Umfeld – denn er stand zu dieser Zeit erst am Anfang seiner Karriere als Schreibender. Der Umzug von Köln, wo er vorher studierte, nach Berlin war also vornehmlich ökonomischen Überlegungen geschuldet.
Neben den günstigen Mieten bot Berlin auch ein aufregendes Lebensumfeld für einen aufstrebenden Künstler. Jan Brandt war schließlich nicht der einzige, den es in die Hauptstadt verschlug. So erfährt der Leser auf den ersten Seiten auch viel über die dort blühende Literaturszene um die Jahrtausendwende. Diese gerät aber mit den Jahren zunehmend aus dem Blick: Nach den Künstlern kommen die Investoren, die Mieten steigen und jeder Wohnungswechsel will gut überlegt sein. Bis es schließlich nichts zu überlegen gibt: Jan Brandt wird eines Tages wegen Eigenbedarf gekündigt. Für fast ein ganzes Jahr zum Wohnungssuchenden, der sich in Menschentrauben durch Wohnungsbesichtigungen schiebt.
In dieser zweiten Hälfte liest sich Eine Wohnung in der Stadt ein bisschen wie ein Krimi. Denn neben der Suche nach einer bezahlbaren und schönen Wohnung treibt Brandt sich auch damit um, den Eigenbedarf zu widerlegen und vielleicht doch nicht umziehen zu müssen. Manische Züger werden erkennbar, die Wohnungssituation wird das bestimmende Thema seines Lebens. Er spioniert sogar tagelang dem Sohn seines Vermieters hinterher- Zeit zum Schreiben bleibt kaum.
Irgendwann in der Zwischenzeit erfährt Brandt auch, dass das Haus seines Urgroßvaters zum Verkauf steht. Die Überlegung zurück in die alte Heimat zu ziehen drängt sich plötzlich auf. Ausführlich wird dies in dem anderen Essay, Ein Haus auf dem Land, beschrieben. Hier zeigt sich Brandt wie auch schon in seinem Essayband über Los Angeles als auf Details achtender Beobachter, der aus seinem Leben berichtet, ohne zu persönlich dabei zu werden. Das führt manchmal aber auch zu Redundanzen und Wiederholungen. Das hat einerseits mit der Zweiteilung des Buches zu tun. In einem Text und chronologisch erzählt, wären diese ohnehin wenigen inhaltlichen Dopplungen wahrscheinlich ausgeblieben. Durch die Teilung in zwei Essays steht jeder der Texte dafür gut auf eigenen Beinen- man muss sie also auch nicht auf einmal Lesen. Redundant wird Brandt in einer Passage in der er über mehrere Seiten aufzählt, welche Ereignisse der Weltgeschichte sich in der Zeit, seit der das Haus des Urgroßvaters erbaut wurde, ereignet haben. Nach einer halben Seite habe ich an das Ende des Kapitels geblättert. Ich hatte es auch so verstanden – es war ein sehr altes Haus und sein Abriss vernichtet auch ein Stück der Identität und Geschichte des Heimatdorfes.
Interessanter lesen sich dafür die Kapitel, die sich um Brandts eigene Familiengeschichte drehen. Es ist eine Geschichte, die davon geprägt war, aus dem Dorf wegzuziehen (wie er selbst). Ein Großteil seiner Verwandtschaft lebt in den USA. Diese Auswanderungsgeschichte begann mit dem Bruder seines Urgroßvaters, nun scheinen die Spuren, die beide auf zwei Kontinenten hinterließen, abgerissen zu werden.
Letztlich ist Ein Haus auf dem Land/Eine Wohnung in der Stadt ein Vergleich zwischen zwei Lebensräumen. Trotz aller Unterschiede zeigt sich dabei auch, dass manche Entwicklung auch nicht vor dem Land halt macht. Wo Menschen sind, da ist auch Wandel. Während die Berliner Altstadtwohnungen saniert und ganze Viertel gentrifiziert werden, muss auf dem Land ein altes Haus eben einem seniorengerechten Neubau weichen. Wirkliche neue Einsichten sollte man von Ein Haus auf dem Land/Eine Wohnung in der Stadt vielleicht nicht erwarten – die Diskussion um steigende Mieten ist inzwischen omnipräsent. Doch das soll dem Buch kein Abbruch tun. Ein Haus auf dem Land/Eine Wohnung in der Stadt eine gelungene, sich manchmal etwas in Details verlierende, Gegenwartsbeschreibung, die sich überdies flüssig liest. Es sind persönliche Texte, eine Stimme, die sich in einen größeren gesellschaftlichen Diskurs einschreibt.
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Ein Haus auf dem Land/Eine Wohnung in der Stadt ist bei Dumont erschienen.