Die Ich-Erzählerin in Jessie Greengrass’ Was wir voneinander wissen begibt sich auf eine Suche nach Erkenntnis, als sie sich die Frage stellt, ob sie mit ihrem Partner Johannes ein Kind empfangen möchte. Sie sucht dabei in ihrer eigenen Familiengeschichte sowie in den Biografien einflussreicher Wissenschaftler. Es ist ein Werk, das den Menschen als Suchenden zeigt, ohne die eine Erkenntnis je greifen zu können.
Hitzige Gemüter: Anton Čechovs Sommergeschichten
Der Erzähler Anton Čechov lebt etwas im Schatten der anderen beiden großen russischen Autoren, Tolstoi und Dostojewski. Diogenes ruft ihn mit einer Sammlung von Peter Urban übersetzten Sommergeschichten in Erinnerung. Es sind hitzige, humorvolle Erzählungen, die ins russische Gemüt an lauen Sommertagen tauchen.
Düstere Aussichten: Wir verlassen Kinder von Lucia Leidenfrost
Dorfkinder, die sich selbst überlassen werden: Dieses Szenario wird von jungen, deutschsprachigen Schriftstellerinnen in letzter Zeit öfter entworfen. Auf Karoline Menges Warten auf Schnee und Verana Güntners viel beachteten Roman Power folgt nun Lucia Leidenfrost mit Wir verlassenen Kinder. Es ist nicht nur das Setting – ein unbestimmter Ort zu einer unbestimmten Zeit -, den die Texte gemein haben. Auch die soziale Kälte, die durch diese elternlosen Gemeinschaften weht, eint sie.
Das Gefühl, ruiniert zu sein: 20XX von Philipp Röding
Irgendwann zwischen 2001, der Gegenwart und einer nahen Zukunft verlieren und langweilen sich Videospielentwickler, gescheiterte Autoren, Hynotisieure und Schauspieler bei dekadenten Fressgelagen, Schießübungen und Kommunikationsversuchen, während der Fernseher schlechte Nachrichten bringt, die niemanden berühren. In Philipp Rödings zweitem Roman 20XX erscheint nichts dringlich, aber alles existenziell. Ein beunruhigendes Nebeneinander von Wohlstand und Langeweile, Tod und Armut bringt eine Welt am Rande des Ruins zum Vorschein.
Letzte Männer: August von Callan Wink
Callan Winks Der letzte beste Ort ist einer der besten Erzählbände der letzten Jahre. Drei Jahre später entführt der Debütroman August den Leser wie bereits die Stories ins “Flyover country”, also jenen Regionen der USA, die man meistens nur von oben sieht, wenn man von New York nach Los Angeles fliegt. Tatsächlich ist August eine Weiterentwicklung einer seiner Stories aus Der letzte beste Ort, “Breatharians”. Im Roman entwickelt Wink die Geschichte der auseinanderfallenden Farmersfamilie weiter und begleitet den zwölfjährigen August bis ins junge Erwachsenenalter, von Michigan in die Rocky Mountains von Montana.
Vernarbte Leben: Verge von Lidia Yuknavitch
Verge bedeutet zu deutsch Rand oder Schwelle. Einen trefferenden Titel hätte sich Lidia Yuknavitch für ihre zwanzig Stories nicht ausdenken können. Der Erzählband führt den Leser an die Ränder der Gesellschaft. Es sind Prostituierte, Waisen, Drogenabhängige, Homosexuelle und Drag Queens, die ihre eigenen und die Vorstellungen anderer navigieren und dabei manche Verwundung erdulden müssen.
Streifzüge der Wehmut: Mirror von Leafar Legov
Zurzeit ist ja vieles anders. Und so hat das Weimarer Elektronik-Label Giegling meines Wissens erstmals eine Veröffentlichung digital verfügbar gemacht, weil die Auslieferung der Vinyls sich wohl etwas ziehen könnte. Ein Glück: Mirror, das Debütalbum von Leafar Legov, begleitet mich auf meinen täglichen Spaziergängen durch die Nachbarschaft. Es ist der passende Soundtrack zum Flanieren bei früh-frühlingshaftem Wetter im Moment sozialer Distanz: Friedvoll, warm, aber irgendwie auch ziemlich wehmütig.
Liebe, gegenwärtig: Allegro Pastell von Leif Randt
Leif Randt hat mit Allegro Pastell ein hervorragendes Buch über die Liebe zwischen Millennials geschrieben, das mit viel Eleganz, aber am Puls der Zeit und ohne jeden Kitsch geschrieben ist. Damit ist Allegro Pastell sogar auf der Shortlist des Preises der Leipziger Buchmesse gelandet. Gewonnen hat er ihn dann leider nicht – verdient hätte er es aber. Wenn man heute über Liebe schreibt, dann doch bitte so.
Zum Schluss rauscht das Meer: Amsterdam
Das beste draus machen: Es heißt ja, Timing sei alles. Gemeint ist dabei wohl die Zusammenführung der richtigen Zeit und des richtigen Ortes. Denkbar schlechtes Timing könnte man es also nennen, wenn man Mitte März eine Flugreise nach Amsterdam unternimmt, während das Coronavirus das öffentliche Leben lahmlegt. Und so stellte ich – am Freitag, den 13. auch noch – mit Ernüchterung auf mein Smartphone starrend fest, dass man in Holland alle Museen schließen und Veranstaltungen absagen werde. Samstag ging der Flug.
Mehr Leben durch Verzicht: If Cats Disappeared from the World von Genki Kawamura
In manche Bücher stolpert man eher unverhofft. Dieses fing meinen Blick im Museumsshop des Albertinums. Zwar hat If Cats Disappeared from the World nichts mit bildender Kunst zu tun, aber manch Museumsshop stellt sich heute ja gern etwas breiter auf. Der Titel klang spannend, das kleine Kätzchen auf dem Cover ist ein Blickfang und da ich meiner Erinnerung noch nie etwas von einem japanischen Autoren gelesen habe, griff ich einfach zu – und wurde mit einem kurzweiligen Roman belohnt.