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Der Bildschirm bleibt schwarz: The Silence von Don DeLillo

The Silence Die Stille Don Delillo RezensionDon DeLillo ist einer der einflussreichsten Postmodernisten der amerikanischen Literatur. Der 1936 geborene New Yorker ist Teil einer sterbenden Generation großer amerikanischer Schriftsteller, zu der neben Thomas Pynchon und Cormac McCarthy die bereits verstorbenen Philip Roth und John Updike zählen (alle in den 30er Jahren geboren). Mit The Silence (deutsch: Die Stille) ist sein 18. Roman erschienen, Romänchen eher, um nicht das kassengiftige N-Wort zu sagen (Novelle ist gemeint). Auf knapp 100 Seiten blickt DeLillo in die nahe Zukunft. Von einem nicht näher benannten Unheil befallen, passt der Text in die krisengeschüttelte Gegenwart.

Mit dem Alter kommt die Reduktion. Waren DeLillos frühere Werke von einem starken Plot getrieben, der den Blick für seine Ideen durchaus auch etwas verstellen konnte, sind spätere Werke wie Point Omega oder eben The Silence geradezu skeletal. Dennoch bleiben sie sich auf Handlungsebene durchaus ähnlich: In Mao II spielte er die Kraft des Bildes sowie die Dichtonomie zwischen Masse und Individuum anhand eines Terrorismus-Plots durch oder schrieb mit Running Dog einen irrwitzgen Thriller über die Suche nach einem verschollenen Sextape (!) von Hitler, um die heutige Objekt-Fixierung der Menschen bloßzustellen. In seinem letzten Roman, dem hervorragenden Zero K, ließ sich die Elite für eine bessere Zukunft vorsorglich einfrieren. Auch in The Silence liegt etwas geheimnisvoll Verschwörerisches. Die Ausgangssituation hat zumindest alles, um einen Thriller daraus zu stricken.

Es beginnt in einem Flugzeug: Jim und Tessa sind auf der Heimreise nach New York. Tessa ist Dichterin und versucht ein paar Gedanken zu Papier zu bringen während Jim auf die Monitore im Flugzeug starrt – bis sie plötzlich ausgehen und man nur leicht verletzt die Bruchlandung überlebt.

Zur gleichen Zeit in einem New Yorker Apartment bei den Eheleuten Stenner: Diese haben eine ehemaligen Studenten von Diane zu Gast, Martin, um mit ihm und später auch Jim und Tessa den Super Bowl zu schauen. Das Spiel hat bereits begonnen, als auch hier der Bildschirm schwarz wird. Tatsächlich sind alle elektronischen Geräte ausgefallen.

Look at the blank screen. What is it hiding from us? (28)

Und so sitzen dann diese fünf Personen in dem New Yorker Apartment, “zurückgelassen von Wissenschaft, Technology, Vernunft” (29). Welches Unheil die Welt befallen hat, ist nicht zu benennen – wie auch, wenn alle Kommunikationssysteme ausgefallen sind? Die Möglichkeiten sind unbegrenzt, “es war immer am Rande unserer Wahrnehmung” (88). Fluten, Dürren, Umweltverschmutzung, Viren. Apokalyptische Bilder surren im Kopf, zum Beispiel von Menschen, die Masken tragen müssen. Ist es vielleicht der dritte Weltkrieg? Die Fünf können nur spekulieren.

The Silence ist am Puls der Zeit geschrieben, mitten hinein in den pandemiebedingten Lockdown. Das ist schon etwas unheimlich. Aus dieser Grundsituation hätte DeLillo sicher einen dicken Thriller schreiben können, für den The Silence so etwas wie das erste Kapitel ist. Doch er nimmt uns nicht mit in das Chaos der Straßen, das nur wie eine Ahnung um den Text schleicht.

DeLillo interessiert hier etwas anderes. Dazu zählt sicherlich die Frage, was mit uns passiert, wenn die digitalen Geräte, die unsere Welt binnen weniger Jahre grundlegend transformiert haben, plötzlich unbrauchbar sind? Was bleibt von uns, wenn jemand den Stecker zieht und die Simulation endet, “What happens to people who live inside their phones?” (52). Plötzlich ist nicht jede Information mehr sofort verfügbar, Verbindungen zu anderen Menschen, das Grundprinzip der digitalen Welt, einfach und selbstverständlich, sind plötzlich undenkbar.

Life can get so interesting that we forget to be afraid (37)

Einen Großteil der Handlung von The Silence nimmt der Austausch zwischen den fünf Personen ein, die etwas ratlos durch das Apartment schleichen. Austausch ist ein großes Wort. Es sind eher solipsistische Monologe. Der eine imaginiert und kommentiert den weiteren Verlauf des Super Bowls, der andere zitiert aus einem Albert Einstein Manuskript, ganz besonders dessen Prophezeiung, dass der vierte Weltkrieg mit Stöcken und Steinen ausgefochten werden wird. Hier schwingt etwas mit, dass wir bereits aus Point Omega kennen – der Mensch als Wesen, das unaufhaltbar auf sein Ende zusteuert. Es ist ein schmales Buch, schnell gelesen, aber schwer im Herzen. DeLillo ist eine bedrückende Zeitdiagnose gelungen, die sich in wenigen Szenen, beinah wie ein Theaterstück, entfaltet und uns eine traurige Botschaft vermittelt: Es ist das Ende der Welt und wir haben einander nichts Bedeutungsvolles zu sagen.

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The Silence ist zu deutsch als Die Stille bei Kiepenheuer & Witsch erschienen. Diese Rezension bezieht sich auf die englischsprachige Ausgabe, wie sie bei Picador erschienen ist. 

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