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Ein Nihilist entdeckt die Angst vorm Tod: Leben zu verkaufen von Yukio Mishima

Leben zu verkaufen Yukio Mishima“Nach seinem misslungenen Selbstmord eröffnete sich Hanio eine leere und zugleich großartige, freie Welt” (10): Anstelle es nochmals einfach herzugeben, bietet Hanio sein Leben zum Verkauf an. Der 27-jährige Werbetexter schaltet eine Annonce, auf die sich alsbald seltsame Abnehmer finden – eine Odyssee durch Tokyo beginnt. Leben zu verkaufen von Yukio Mishima, ursprünglich 1968 in Japan erschienen, erscheint erstmals in deutscher Übersetzung und sollte diesem bedeutenden Schriftsteller neue Fans einbringen.

Yukio Mishima ist nicht nur dafür bekannt, einer der bedeutendsten Schriftsteller Japans zu sein, er gilt auch als einer der letzten Menschen, die durch den rituellen Selbstmord Seppuku aus dem Leben schieden. Der politisch umstrittene Autor wollte 1970 die japanische Armee zu einem Coup d’etat anstiften, damit der Kaiser restituiert wird. Er scheiterte und nahm sich das Leben. Als Nationalist sah er den Kaiser als Bewahrer japanischer Kultur, mit den USA und Konsumkultur wollte er sich nicht anfreunden. Diese Eckpunkte – der Leser ist eingeladen, bei Wikipedia mehr über diesen interessanten Menschen zu lesen – sind nicht ohne Bedeutung für den Roman Leben zu verkaufen.

Die Erzählung beginnt damit, wie Hanio im Krankenhaus erwacht und etwas enttäuscht darüber ist, dass es nicht das Paradies ist. Über sein bisheriges Leben erfahren wir, außer seiner Tätigkeit als Werbetexter, nicht viel. Scheinbar hält ihn einfach nichts am Leben. Die Gründe für seinen versuchten Suizid lesen sich banal:

Sein Selbstmordversuch war nicht die Folge langer Überlegungen gewesen, er hatte in der Snackbar, in der er für gewöhnlich zu Abend aß, die Spätausgabe der Zeitung gelesen und plötzlich den Wunsch verspürt, seinem Leben ein Ende zu setzen (6).

Er kündigt seinen Job, er fühlt sich frei. Er müsse auf niemanden mehr Rücksicht nehmen, befindet er. Gleichwohl erfahren wir nicht, auf wen er Rücksicht nehmen hätte müssen – Hanio hat keine Familie. Kurzentschlossen bietet er also sein Leben zum Kauf an. Es dauert nicht lange, bis sich erste Interessenten melden und ihm viel Geld anbieten. Er wird auf riskante, potenziell tödliche Missionen geschickt, stolpert von einem Auftrag in den nächsten, immer mit einer gewissen Nonchalance, bis er sich in einer Verschwörung verstrickt.

Leben zu verkaufen liest sich ausgesprochen flott, spannend und komisch zugleich. Vordergründig sehen wir hier einen Antihelden durch eine Art Noir-Film laufen, voller schräger Gangster-Typen und Femme fatales. Hintergründig ist der Roman aber durchaus auch als Kritik am modernen Japan, dem schillernden Tokyo, zu verstehen, in dem man scheinbar alles kaufen kann und dies auch gerne tut. Hanio begegnet Menschen, die ähnlich leer sind wie er oder sich irgendwelchen Hirngespinsten hingeben. Wer Geld hat, der kann sich alles leisten – auch wenn es ein Leben kostet.

Ohne irgendwelche anderen Texte Mishimas gelesen zu haben, liegt die Vermutung nahe, dass er nicht wegen Leben zu verkaufen lange Zeit als Anwärter auf den Literaturnobelpreis galt. Es ist, formal gesehen, eine schnörkellos erzählte, als Gangstergeschichte verpackte Satire, die auf einer originellen Prämisse aufbauend recht stringent auserzählt wird, ohne den teils skurrilen Charakteren, die sich darin tummeln, allzu sehr unter die Haut zu kriechen. Kurzum: Der Text unterhält. Die Erstübersetzung bietet also eine wunderbare Gelegenheit, sich mit dem Japaner bekannt zu machen und zu schauen, was sich in dessen umfangreichen Werk noch entdecken lässt.

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Leben zu verkaufen ist bei Kein & Aber erschienen.