Lockdown light is coming, also den Kulturdurst vor der pandemiebdingten Fastenzeit noch schnell gestillt: Die erst am 20. Oktober eröffnete Ausstellung 1 Million Rosen für Angela Davis in der Kunsthalle im Lipsiusbau wird auch – hoffentlich – nach dieser neuerlichen Lockdown-Phase noch zu sehen sein. Sie lohnt sich!
1 Million Rosen für Angela Davis könnte kaum aktueller sein, hat als Ausgangspunkt aber ein Stück DDR-Geschichte, das den meisten jüngeren Besuchern wohl kaum präsent sein wird. Der Ausstellungstitel bezieht sich auf eine 1971 durchgeführte, staatlich organisierte Solidaritätskampagne zur Freilassung der US-amerikanischen Philosophin, Kommunistin und Bürgerrechtlerin Angela Davis. Es handelte sich dabei um eine Postkartenaktion, bei der Kinder und Jugendliche mit Rosen bedruckte Postkarten an die politische Gefangene schrieben. Diese Postkarten, ausgestellt in kleinen Vitrinen, bilden auch den visuellen roten Faden, der die verschiedenen Ausstellungsbereiche miteinander verbindet.
Angela Davis und die Solidaritätskampagne der DDR bilden den Ausgangspunkt der Ausstellung, die eine Brücke zur heutigen Black Lives Matter Bewegung schlägt und Werke ausstellt, die inhaltlich eine Verbindung zu diesen haben. Nur drückt sich die internationale Solidarität heute eben nicht durch Postkarten sondern durch schwarze Quadrate auf Instagram aus.
1 Million Rosen für Angela Davis ist eine kunst- und gesellschaftspolitische Ausstellung zugleich: Historische Dokumente, beispielsweise Postkarten oder Plakate, reihen sich an künstlerische Werke in unterschiedlichen Medien, die sich auch mit der Person Angela Davis befassen, überwiegend aber ihre Anliegen aufarbeiten, die, man muss es leider sagen, nichts von ihrer Dringlichkeit verloren haben. Viele dieser Exponate, einige davon extra für die Ausstellung erschaffen, setzen sich auf die eine oder andere weise also mit den Themen Rassismus, Demokratie im Hinblick auf politische Gefangenschaft und Feminismus auseinander.
1 Million Rosen für Angela Davis ist dementsprechend keine primär kunsthistorische Ausstellung, die die Ästhetik der Werke in den Fokus stellt. Die verarbeiteten Inhalte spielen hier mindestens eine genauso große Rolle wie ihre ästhetische Aufbereitung. Somit sind einige Exponate rein informativer Natur. Eine Zeittafel veranschaulicht beispielsweise Angela Davis’ Biografie mit besonderem Augenmerk auf ihre Beziehung zur DDR, die die Inhaftierung der Aktivistin durchaus propagandistisch nutzte. Der Rassismus in den USA wurde in sozialistischen Ländern während der Zeit des Kalte Krieges mitunter genutzt, um die Ungerechtigkeit des kapitalistischen Westens anzuprangern und diente somit der Selbstvergewisserung, auf der richtigen Seite zu stehen. Welche Rolle die Postkartenkampagne in der Freilassung von Angela Davis letztlich spielte, lässt sich schwer beurteilen. Klar ist aber, dass sie, als sie die DDR später besuchte, als Staatsgast empfangen und von Hunderttausenden bejubelt wurde. Aber inwieweit stand der Staatsapparat der DDR für die Ideale der amerikanischen Bürgerrechtlerin, die sich insbesondere nach ihrer Inhaftierung für politische Gefangene einsetzte? Dass es der Ausstellung gelingt, ihr Thema zu emotionalisieren, ist hier tatsächlich ein Pluspunkt. Die Installation “Bautzener Straße” von Nasan Tur rückt das Problem politischer Gefangenschaft in der DDR eindringlich ins Licht: Ein separierter Raum mit den Maßen einer Zelle – den man coronabedingt auch nur einzeln betreten darf – zeigt 15 Fotografien von Gefängniszellen. Dieser innere Widerspruch in Bezug auf politische Gefangene, den man durchaus auch so lesen könnte, dass die DDR-Führung Angela Davis letztlich für ihre eigenen Zwecke im Klassenkampf instrumentalisierte, spielt jedoch nur eine untergeordnete Rolle in der Ausstellung. Zu sehen sind neben Schreiben, die Davis‘ Freilassung fordern, dafür Portraits, die ostdeutsche Künstler von Angela Davis in den 1970ers anfertigten, unter anderen von Heinz Wodzicka.
Weitaus mehr Raum nehmen die Arbeiten Schwarzer Künstler dies- und jenseits des Atlantiks ein, die sich mit Erfahrungen von Ausgrenzung, Rassismus und Unterdrückung auseinandersetzen. Dazu zählen Litografien des Amerikaners Charles White, der sich an einer ähnlichen Postkarten-Kampagne vom National Commitee to Free Angela Davis and All Political Prisoners beteiligte und auch in der DDR ausstellte sowie eine mit Acryl bemalte Holzkiste von Jean-Michel Basquiat, sicherlich der bekannteste Name unter den ausgestellten Künstlern. Es sind viele Werke zeitgenössischer Künstlerinnen wie Raja Lubinetzki, Iris Kensmil, Carrie Mae Weems oder Claudia Martinez Garay zu sehen.
Den bleibendsten Eindruck hinterlässt das Videoprojekt “Love Is the Message, the Message is Death“ von Arthur Jafa, der hier kurze Videosquenzen von Schwarzen Stars der Unterhaltungsindustrie mit jenen collagiert, die Polizeigewalt und anderen Ausschnitten Schwarzen Lebens in Amerika zeigen. Es ist ein wahrer Bildersturm, unterlegt mit Musik irgendwo zwischen Rap und Gospel, der verstört und berührt.
1 Million Rosen für Angela Davis ist eine informative wie eindringliche, abwechslungsreiche Ausstellung, die von der Vergangenheit und der Gegenwart erzählt. Hoffen wir, dass sie spätestens im Dezember und zwischendrin auch digital zu sehen sein wird.
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1 Million Rosen für Angela Davis wird planmäßig bis zum 24.01.2021 in der Kunsthalle im Lipsiusbau zu sehen sein. Weitere Informationen.
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