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Mit Gammelhai und Cowboyhut: Kalmann von Joachim B. Schmidt

KalmannEin etwas anderer Krimi in einem etwas anderen Land: Kalmann ist der selbsternannte Sheriff von Raufarhövn, einem kleinen Kaff irgendwo in Island. Als Robert McKenzie, so etwas wie der Wirtschaftsmogul des sterbenden Fischerdorfes, spurlos verschwindet, kommt Aufregung ins verschlafene und klirrend kalte Örtchen. Ungewollt im Zentrum des Trubels steht Kalmann – der uns auf seine ganz eigene Art der Ortsbegehung mitnimmt.

Ortskundig ist auch Kalmanns Erschaffer. Joachim B. Schmidt lebt, schreibt und arbeitet als Fremdenführer auf Island. Mit Kalmann ist dem gebürtigen Schweizer ein eigenwilliger Kriminalroman gelungen, der abgesehen vom Exotismus seines Settings von seinem Erzähler lebt.

Kalmann ist nicht wirklich der Sheriff von Raufarhövn, einem real existierenden Ort mit zirka 160 Einwohnern im Norden Islands, sondern eher ein isländischer Forrest Gump. Er ist ein 33-jähriger geistig zurückgebliebener Mann, der im Dorf aber weitestgehend normal integriert ist (seine Behinderung wird nicht näher benannt). Von seinem Großvater hat er das Jagen und Fischen gelernt. Er macht – nach seinem geliebten aber inzwischen im Altersheim lebenden Großvater – den zweitbesten Gammelhai des Landes (und somit wohl auch der Welt). Ansonsten schläft er jeden Abend vor dem Fernseher bei seinen Lieblingsshows The Biggest Loser und The Bachelor ein. Eines Tages trifft er bei der Fuchsjagt jedoch auf eine große Blutlache. Und da der wichtigste Mann des Dorfes verschwunden ist, geht man davon aus, dass es sich um ein Morddelikt handelt.

Erzählt wird das alles aus der Perspektive von Kalmann und somit liest sich der Text ob der kognitiven Fähigkeiten des Mannes anekdotenreich, unkonzentriert und einfach. Das macht den Roman auch zu einer Übung im unzuverlässigen Erzählen, er zieht seine gesamte Spannung aus den Informationen, die uns Kalmann mitteilt – und vorenthält. Und bis der zum Punkt kommt, kann es eine Weile dauern. Denn Kalmann erzählt uns auch davon, wie man Grönlandhaie fängt und fermentiert, über die Frauen, von denen er schwärmt, von seinem Großvater und den anderen Bewohnern des Dorfes. Als Leser muss man da durchaus geduldig sein und den Roman eher als eigenwilligen Reiseführer für die Halbinsel Melrakkasletta denn als waschechten Krimi lesen. Man muss auch die eigenwilligen, tendenziell reaktionären Einstellungen des Erzählers verwinden (wenngleich Island hier ohnehin etwas rückständig, fremdenfeindlich und sexistisch rüberkommt). Für den Leser hängt hier viel daran, ob er sich mit dem Erzählstil des Protagonisten arrangieren kann, der zuweilen recht umständlich und ausschweifend sein kann:

Das Lieblingsgericht der Falken ist Schneehuhn, und wenn es nur wenige Schneehühner gibt, gibt es wenige Falken, weil sie dann nichts zu futtern haben. Und wenn es wenige Falken gibt, gibt es mehr Schneehühner. Und wenn es mehr Schneehühner gibt, gibt es mehr Falken (247).

Es ist nicht immer einfach, die Augen konzentriert auf solchen Zeilen zu lassen, wenn man eigentlich nach Hinweisen sucht, die den Kriminalfall, um den der Text gestrickt ist, lösen könnten. Kalmann hätte ein paar Ausschweifungen weniger gut verkraftet, manche Seiten überfliegt man im Schnelldurchlauf. Dennoch: Joachim B. Schmidt bleibt seinem Erzähler von der ersten bis zur letzten Seite treu und schafft es, diesen wirklich lebendig werden zu lassen. Kalmann ist definitiv der Star seiner eigenen Geschichte. Das rätselhafte Verschwinden von Robert McKenzie hätte allerdings ein paar mehr Wendungen vertragen können, um wirklich mitreißend zu sein.

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Kalmann ist bei Diogenes erschienen.

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