“Marcel Klein [war] im Grunde nur ein Mensch, der die Kunst des Glücklichseins nie erlernt hatte” (5), stellt uns Emanuel Bergmann den Protagonisten seines am Rande der Filmbranche spielenden Romans Tahara vor. Vielleicht wird er das mit dem Glück nie lernen, denn er hat sein halbes Leben schon gelebt, eine Scheidung hinter sich und einen Job als Filmkritiker, der ihm nicht mehr alle Rechnungen zahlt. Etwas Licht – und Drama – kommt in sein Leben, als er der melancholisch-schönen Héloïse begegnet. Deren Name setzt sich laut Wikipedia übrigens “aus den Elementen heil „Glück“, „Gesundheit“, „heilig“ und víđ „weit“, „getrennt“, „entfernt“ zusammen”.
Im Grunde sind wir alle Monster: Ein heißes Jahr von Philippe Djian
Wir schreiben das Jahr 2030. Gut zehn Jahre ist es her, dass das Mädchen mit den Zöpfen die Klimarevolution lostreten wollte. Es ist trotzdem alles den Bach runtergegangen; in Schweden baut man inzwischen Wein an. Im Sommer regnet es kaum, dafür dann unaufhörlich, wenn es einmal losgeht. Greg, Hauptfigur in Ein heißes Jahr des Franzosen Philippe Djian, zählt zu den Männern, die an der Misere teilhaben, denn er arbeitet für ein Labor, das Untersuchungsergebnisse für den Hersteller eines potenziell tödlichen Pestizids herstellt. Die Begegnung mit einer Aktivistin bringt seine Welt aus dem Gleichgewicht.
Warum die Giraffe nicht in Ohnmacht fällt von Katherine Rundell
Putziges aus der Welt der Tiere: Warum die Giraffe nicht in Ohnmacht fällt von Katherine Rundell ist ein Band unheimlich unterhaltsamer Essays, der uns Staunen lässt, zum schmunzeln bringt und melancholisch macht: Voller kurioser Geschichten über den missverständlichen Blick, den der Mensch auf die Welt der Tiere wirft und den Sinn für das verstellt, was an ihnen wahrlich bemerkenswert ist. Bemerkenswert ist auch die Gestaltung des Buches: Wunderschön illustriert und mit Gold sprenkeln eingebunden, verdient es einen Platz in jedem Buchregal.
Romeo und Julia auf dem Friedhof: Als wir Vögel waren von Ayanna Lloyd Banwo
Ayanna Lloyd Banwo Debütroman Als wir Vögel waren erzählt von einer ungewöhnlichen, magisch angehauchten Liebesgeschichte in Trinidad. Es ist ein von Mythen durchzogener Roman über kreolische Tradition und Großstadtmoderne mit Elementen des magischen Realismus.
Irgendwann werden wir uns alles erzählen von Daniela Krien
Die Mauer ist weg. Im Sommer 1990 erlebt die bald 17-jährige Marie eine Wende im Äußeren und im Inneren. Daniela Kriens Roman Irgendwann werden wir uns alles erzählen entführt den Leser in die ostdeutsche Provinz wenige Monate vor der Wiedervereinigung. Atmosphärisch dicht erzählt, gelingt der Autorin ein packendes Portrait einer Jugend zwischen Aufbruch, Verharren und Unsicherheit.
Große Erwartungen: Ambivalenz von Amélie Nothomb
Dominique ist Sekretärin fernab von Paris, als ein Verehrer versucht, sie im Sturm zu erobern. Sein intensives Werben geht auf. Claude ist ein Mann großer Ambitionen, doch als er Dominique geehelicht und geschwängert hat, erkaltet er. Ambivalenz von Amélie Nothomb ist ein kurzer, geschmeidig erzählter Roman über große Erwartungen und ein grausames Herz.
Bye-bye Menschheit: Gegenangriff von Nadja Niemeyer
Die Fauna hat die Schnauze von des Menschen Naturvernichtung und bläst zum Gegenangriff. Nadja Niemeyers Text kommt mit dem Paratext “Pamphlet”, ist aber eine dystopische Erzählung, eine gar nicht mal so unplausible Fiktion, in der es der Menschheit endlich an den Kragen geht. Ein amüsanter, ein aktueller, ein notwendiger Text.
Frühlingsgefühle: Geschichten von der Liebe von Anton Čechov
Diogenes bringt nach den Winter– und Sommergeschichten nun auch den Frühling im Werk des Russischen Meisters Anton Čechov heraus. Frühlingsgefühle vereint wie die zwei früheren Bände ebenfalls Erzählungen aus verschiedenen Schaffensperioden des Autors, die mehr oder weniger dezidiert von der Jahreszeit als auch den sprichwörtlichen Frühlingsgefühlen erzählen. Es ist eine unterhaltsame, abwechslungsreiche, aber nicht durchgängig erstklassige Sammlung.
Sinfonie des Schreckens: Die Jagd von Sasha Filipenko
Fiktion oder Wahrsagung? In Sasha Filipenkos aktuellem Roman Die Jagd begegnen dem Leser Umstände, die mit Russlands Einmarsch in die Ukraine schreckliche Realität geworden sind. Die Jagd ist aber nicht schon jetzt einer der interessantesten Romane des Jahres allein wegen des Inhalts, sprich der verblüffenden Nähe dieser Fiktion zur aktuellen geopolitischen Situation, sondern vor allem wegen seiner cleveren, bei allem Schrecken trotzdem unterhaltsamen Konstruktion.
Was uns durch die Nacht trägt: Toronto von Kenneth Bonert
“Was uns durch die Nacht trägt” ist der Untertitel zu Kenneth Bonerts hervorragendem Erzählband Toronto und er gibt viel Preis von der unterschwelligen Stimmung, die diese vier Texte beseelt. Neben Menschen, die in Begegnungen Veränderung finden und Halt suchen, ist die kosmopolitische Stadt Toronto der eigentliche Protagonist des Bandes. Es ist eine Stadt mit eisigen Wintern, bevölkert von Zugezogenen, die sich finden und verlieren.