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Blutige Fabel des Erwachsenwerdens: Wenn ich jetzt nicht weine von Oisin Curran

Wenn ich jetzt nicht weine von Oisin CurranErwachsenwerden ist nicht einfach, schon gar nicht, wenn man 1980 in einem buddhistischen Kult groß wird und die Mutter schwer erkrankt. Der elfjährige Erzähler in Oisin Currans Roman Wenn ich jetzt nicht weine wird darüber hinaus von Visionen eines vermeintlich früheren Lebens geplagt. Es ist eine Mischung aus Coming of Age und Jules Verne Roman, ein faszinierender, phantasievoller Text, der seine Geheimnisse nicht ohne Weiteres preisgibt.

Gleich zu Beginn von Wenn ich jetzt nicht weine hat der junge Ich-Erzähler einen Anfall, der ihn mitnimmt in die Gedankenwelt einer anderen Person, einer jungen Frau, die vor etwas flieht und sich in ein Expeditionsschiff schleicht, um dem rätselhaften Verfolger zu entfliehen und etwas zu finden, das lediglich Stadt heißt. Die Eltern des Erzählers sind verzückt von dieser Vision, beide künstlerische Typen, und beginnen, die Schilderungen des Jungen aufzuschreiben. Sind sie reale Visionen eines früheren Lebens oder ist es eine Art Flucht vor der angespannten Situation in der buddhistischen Kommune?

Auch die Ehe der Eltern ist nicht unbedingt harmonisch. Dass die Familie in der Kommune lebt, ist dem Vater geschuldet. Iris, die Mutter, steht dem religiösen Führer, der über allem thront, skeptisch gegenüber, auch weil die finanzielle Situation schwierig ist. Die medizinische Versorgung und die Unsicherheit, die Iris’ Krebserkrankung mit sich bringt, ist eine zusätzliche Last.

Eine wirklich unbeschwerte Kindheit hat der Junge also nicht. Die Erzählung aus dem “anderen Leben” des Jungen, die sich praktisch jeden Tag weiter spinnt, ist so etwas wie das Lagerfeuer, um das sich die kleine Familie versammelt, sie bietet Kontinuität in einer Situation, die höchst instabil ist.

Aber auch die Erzählung selbst ist instabil: Die junge Frau, aus deren Augen sie erzählt wird, wird bald von der Schiffscrew, welche auf der Suche nach einer besonderen Insel ist, entdeckt. Die Welt, in die die aus skurrilen Entdeckern bestehende Schiffsbesatzung schließlich stolpert, führt in eine sonderbare Welt unter der Erde. Es ist eine magisch erscheinende Welt voller Gefahren, in die die junge Erzählerin manisch weiter vordringt.

Ist diese Jules Verne-gleiche Erzählung in der Erzählung eine Allegorie für den Prozess der Erwachsenwerdens? Schließlich muss auch er eine widrige Situation navigieren voll inner- und außerfamiliärer Schwierigkeiten. Spiegelt die manische Flucht vor einem monströsen Schatten in der Binnenerzählung die Flucht des Elfjährigen vor den Wahrheiten im buddhistischen Kult?

Wenn ich jetzt nicht weine ist ohne Frage eine Text voller Ideenreichtum, der dem Leser aber einige Rätsel aufgibt. Beide Erzählungen laufen praktisch parallel ab, Querverbindungen sind auf dem ersten Blick nicht evident, wenn man davon absieht, dass die Binnenerzählung dem Jungen entspringt. Der Text fordert vom Leser entsprechend großen Interpretationswillen, um ihn als großes Ganzes und nicht als zwei losgelöste Teile genießen zu können. Es braucht etwas Abstand, um diese disparaten Geschichten als zwei Seiten einer Medaille betrachten zu können. Dann zeigt sich: Hier geht es auch um Utopien, die durch die Manie derer, die sie suchen beziehungsweise zu erschaffen versuchen, schon im Keim verdorben sind. Aber auch wenn man dieser Deutung nicht folgen mag: Für sich genommen funktionieren beide Texte erstaunlich gut. Als Leser bekommt man also zwei kurze, recht unterschiedliche Romane zum Preis von einem. Ein erstaunliches Buch.

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Wenn ich jetzt nicht weine ist bei Luftschacht erschienen.

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