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Vater, Mutter, Kim von Eivind Hofstad Evjemo

Vater, Mutter, Kim von Eivind Hofstad EvjemoDer Roman Vater, Mutter, Kim des Norwegers Eivind Hofstad Evjemo beginnt damit, dass am 29. Juli 2011 eine Familie in ihr Wohngebiet zurückkehrt. Doch ein Sitz bleibt leer, die Tochter “war von etwas mitgerissen worden, was sich außerhalb dieser Idylle befand” (14). Dieses Etwas geschah am 22. Juli 2011, als der Rechtsterrorist Anders Behring Breivik 77 Menschen in den Tod riss, viele davon Jugendliche, die an einem Zeltlager der Jugendorganisation AUF teilnahmen. Evjemos ruhig erzählter Roman über unaussprechlichen Verlust streift dieses grässliche Etwas nur, konzentriert sich stattdessen auf das, was in der Idylle zurückbleibt.

Es ist eine der spannendsten Fragen in der Literatur: Wie erzählt man unaussprechliches Trauma, etwas, das jenseits jeder Sprache liegt? Anders als es die ersten Seiten von Vater, Mutter, Kim vermuten lassen, fokalisiert der Text nicht die Nachwehen des Massenmords. Die Tat selbst bleibt ausgespart. Mehr noch: In Vater, Mutter, Kim sind Arild und Sella, die Nachbarn der Familie, die Protagonisten dieses schwer zu greifenden Textes, der ohne Plot erzählt ist und in der Zeit springt, um einen anderen tragischen Verlust im Leben dieser Nachbarn behutsam freizulegen. Die am Anfang des Romans unvollständig heimkehrende Familie kommt im Verlauf des Romans kaum vor. Sella, auf deren Erleben sich Evjemos hier konzentriert, hat nicht eine Interaktion mit ihren Nachbarn, die lediglich in einem Radiointerview zur Sprache kommen. Und doch sind sie präsent. Denn wieder und wieder beginnt Sella zu backen, um den Nachbarn etwas Trost zukommen zu lassen, friert die Zimtschnecken und Brötchen aber ein ums andere Mal ein – zu unsicher, um tatsächlich an die Tür nebenan zu klopfen.

Vielleicht weiß sie nur zu gut, dass Backwaren keine Linderung zu einem Schmerz darstellen werden, der unausgesprochen bleiben wird. Wieder und wieder springt der Text zurück in die 1980er, um das Leben und Sella und Arlid zu beleuchten – ihr Kennenlernen, das Zusammenziehen und die Fruchtlosigkeit der Ehe. Etwas fehlt – ein Kind. Und als man in Asien ein Kind – Kim – adoptiert, bleibt Sella trotzdem unerfüllt. Die Mutter-Kind-Beziehung ist nicht so innig, wie sie sich es gewünscht hat. Irgendwann ist Kim dann weg – so plötzlich aus ihrem Leben gerissen, wie er in ihres kam. Der Umstand dieses Verlust ist auch die einzige Frage, die dem Text so etwas wie Spannung gibt. Ansonsten hält er sich mit Alltagsbeschreibungen auf, die einerseits das Portrait einer Ehe darstellen und andererseits eine unbewegte Stille einfangen. Der Roman ist voller Sätze wie:

Sie sitzt in der Küche, alle Dinge um sie herum, in den Schubladen, Schränken und an den Haken, warten darauf, dass sie jemand in Bewegung setzt.

Vater, Mutter, Kim ist ein schwer zu bewertender Text, langsam erzählt und mit einer gewissen Distanz zu seinen Figuren. Man fühlt ich irgendwie taub. Gut möglich, dass das der gewollte Effekt dieses Projektes ist. Was soll man auch sagen, wenn Kinder aus dem Leben gerissen werden, plötzlich und gewaltsam? Der Roman erzählt von Verlust, indem er über das Leben berichtet, das übrig bleibt.

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Vater, Mutter, Kim ist beim Luftschacht Verlag erhältlich.