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Ewig leben, Abschiednehmen: Malagash von Joey Comeau

MalagashSunday schreibt einen Computervirus, weil ihr Vater an Krebs stirbt: In dem Virus soll er als Geist für immer weiterleben. Malagash, benannt nach dem Ort, an dem die Handlung spielt, ist aber kein Science-Fiction Roman. Vielmehr ist der Virus eine Art coping mechanism für den Teenager, der Abschied von seinem Vater und dadurch auch von der selbtbezogenen Weltsicht der Jugend nehmen muss.

Der Titel ist eigentlich das Schwächste an Comeaus 130 Seiten langen, in sehr knappen Kapiteln erzählten Romans. Malagash ist weniger eine Kleinstadt als “eine lange Straße” (13) und wird nie so richtig als Ort lebendig. Malagash ist als Erzählung dafür auch viel zu sehr nach innen gerichtet: Erzählt wird aus der Perspektive der Heranwachsenden Sunday, die zusammen mit ihrem jüngeren Bruder und ihrer Mutter jeden Tag den krebskranken, im Sterben liegenden Vater besucht. Dabei lässt sie immer die Aufnahmefunktion ihres Handys laufen. Sie will jedes Gespräch mit ihrem Vater festhalten:

Ich schreibe ein Computervirus auf der Basis der Worte meines Vaters. Basierend auf seinen Witzen und seinem Lachen. Basierend auf einen Geschichten. Das Virus wird in die Welt hinausgehen und es wird für immer auf den Festplatten von Fremden leben (23).

Man könnte also meinen, Malagash ist eine Erzählung des Post-Humanismus, wo wir uns von unseren irgendwann defekten Körpern lösen und “hochgeladen” auf ewig durchs Netz geistern. Gott ist Tod, nach dem Tod kommt die Stille, kein Himmel. Sunday stellt es sich vielleicht so vor: Sie möchte den Geist ihres Vaters für die Ewigkeit konservieren, ihm gewissermaßen ein Leben danach schenken. Das Internet als neues Jenseits. Tatsächlich ist diese Idee von ihr aber nicht weiter gedacht, als es das obige Zitat erzählt. Sunday ist eine junge Frau, die sich mit einem traumatischen Erlebnis auseinandersetzen muss und ihre Programmierfähigkeiten nutzt, um mit dieser Situation klarzukommen. Es ist eine zugegeben ungewöhnliche Art, was Malagash aber beschreibt, ist gewöhnlich. In diesem Sinne ist der Titel vielleicht doch gut gewählt: Ein unbemerkswerter Ort an der Ostküste Kanadas, eine ziemlich normale Familie, die mit etwas umgehen muss, dass jeden irgendwann trifft. Selbst Sundays Vater ist gewöhnlich, der – um Normalität bemüht – seine Kinder mit typischen Dad Jokes unterhält. Es sind auch diese Scherze und Geschichten, die Sunday mit ihrem Virus in die Unendlichkeit reproduzieren will.

Weitaus interessanter ist dann auch die Familiengeschichte beziehungsweise jene des Erwachsenwerdens, die Joey Comeau hier erzählt. Denn die Zeit der Abnabelung, für die die Jugend steht, muss für Sunday hier enden. Die Verbindungen zu ihrer Familie, besonders dem jüngeren Bruder, programmieren sich im Prozess des Abschiednehmens und der anschließenden Trauer neu.

Erzählt ist das alles ohne Pathos, in knappen Sätzen und kurzen Kapiteln, ohne kühl zu sein. Eigentlich passiert nicht viel, wenn man davon absieht, dass ein Leben endet. Ein schönes Buch – über Trauer und das Erwachsenwerden.

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Malagash ist bei Luftschacht erschienen.

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