Als ich die Band Local Natives zum ersten Mal hörte, saß ich in der Bibliothek über meiner Magisterarbeit. Das Debüt Gorilla Manor lebte vom großäugigen Sturm und Drang der Jugend und dem dreiteiligen Falsetto-Gesang, der die Band bis heute auszeichnet. Ich schrieb damals über postmoderne Adoleszenzromane, Gorilla Manor, das ich seitdem eigentlich nicht mehr hören kann, war unter anderen mein Soundtrack, der mich durch schreibende Stunden begleitete. Die Adoleszenz ist heute vorbei – auch für Local Natives. Man ist im Leben angekommen, Mitte 30. Doch ist man jemals wirklich da? Das vierte Album der Band, Violet Street, erzählt in elf eingängigen Popsongs davon, dass man auch nach den vermeintlichen Meilensteinen des Lebens ein Reisender bleibt.
Harter Tobak: hell/dunkel von Julia Rothenburg
Julia Rothenburgs zweiter Roman hell/dunkel ist eine ziemlich düstere Angelegenheit: Zwei sich entfremdete Geschwister müssen damit fertig werden, dass ihre Mutter an Krebs stirbt und kommen sich dabei zu nah. Viel zu nah. Es ist ein unangenehm zu lesender Text.
Ein seltsamer Regen: Warum die Vögel sterben von Victor Pouchet
In der Normandie regnet es tote Vögel und in Paris interessiert es keinen: Abgesehen von Victor Pouchets Protagonisten in seinem Debütroman Warum die Vögel sterben. Der ziellos durch sein Leben driftende Promotionsstudent, der mit seinem Erschaffer zumindest den Nachnamen teilt, will dem unheimlichen Phänomen auf den Grund gehen. Da sich der Vogelregen in seiner Heimatstadt ereignete, fühlt er sich persönlich betroffen. Die Reise führt ihn in die eigene Kindheit.
“Wir sind ja auch Menschen hier draußen”: Die kennen keine Trauer von Bjarte Breiteig
Der Wiener Luftschacht Verlag hat mit Die kennen keine Trauer von Bjarte Breiteig einen äußerst ökonomisch erzählten Band im Programm. Die sieben Erzählungen begnügen sich mit 80 Seiten. Viel zu kurz, denkt man. Aber das heißt ja nichts Schlechtes: Die guten Erlebnisse sind schließlich immer viel zu schnell vorbei. Das bedeutet allerdings nicht, dass Die kennen keine Trauer von schönen Momenten erzählt.
Flucht aufs Land: Alte Sorten von Ewald Arenz
Ein Buch für Sommer- und Landlust: In Alte Sorten lässt Ewald Arenz einen in Schieflage geratenen Teenager aufs Land fliehen und dort bei einer enigmatischen Bäuerin unterschlupf finden. Eine ungewöhnliche Freundschaft entsteht, bei der beide die Krisen ihres Lebens konfrontieren müssen.
Das Flüstern des Apfelbaums: Von Pflanzen und Menschen im DHMD
Pünktlich zur vollen Blüte des Frühlings startet im Deutschen Hygiene-Museum Dresden eine neue Sonderausstellung, die von Pflanzen und Menschen erzählt (nur konsequent, nachdem die Beziehung zwischen Mensch und Tier letztes Jahr aufgearbeitet wurde). Ein hochaktuelles Thema: Schon lange am Gären, erreicht der öffentliche Diskurs um den Klimawandel so langsam den Siedepunkt – die Fridays for Future Demonstrationen zeigen es an ebenso wie die Umfrageergebnisse der Grünen.
Im Spiegel der Erinnerungen: Erstaugust von Lisa Elsässer
Ich bin immer wieder verzückt von den sprachlichen Qualitäten schweizerischer Erzählliteratur. Auch wenn das gesprochene Deutsch der Eidgenossen mir unverständlich bleibt, auf dem Papier kommt es klar wie Gebirgsquellwasser und bildreich wie die schönsten Alpenpanoramen. Auch Lisa Elsässer findet in ihrem Erzählband Erstaugust immer wieder schöne Formulierungen, vermag es dabei aber nicht, ihrem Material die nötige Dringlichkeit zu verleihen. Erstaugust ist eher ein kleines Rinnsal, das gemächlich vor sich hin plätschert.
Was am Ende bleibt: Die Angehörigen von Katharine Dion
Debütromane sind oft vom Sturm und Drang der Jugend geprägte Coming of Age Geschichten. In dieser Hinsicht ist der Amerikanerin Katharine Dion ein wirklich ungewöhnlicher Erstling gelungen: Ihr mit ruhiger Hand erzählter Roman Die Angehörigen erzählt von Eugene Ashe, der nach 49 Jahren Ehe plötzlich Witwer ist und nun die Beziehungen seines Lebens hinterfragt.
Die Moderne und das barocke Dresden: Zukunftsräume im Albertinum
Die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden haben zurzeit einen Lauf: Nach den überaus gelungenen Sonderschauen Ostdeutsche Malerei und Skulptur sowie Medea muckt auf ist mit Zukunftsräume: Kandinsky, Mondrian, Lissitzky und die abstrakt-konstruktive Avantgarde in Dresden 1919 bis 1932 wieder ein absoluter Volltreffer im Albertinum zu sehen.
Gefrierbrand: Vor der Flut von Corinna T. Sievers
Corinna T. Sievers hat mit Vor der Flut einen sprachlich interessanten und überaus offenen Roman über eine 51-jährige Nymphomanin geschrieben, die ihrem unbändigen Drang selbst während der Arbeit (sie ist Zahnärztin) nicht standhalten kann und auch mal einen Patienten im Behandlungsstuhl vernascht. So heiß es auch hergehen mag, herrscht doch klirrende Kälte im Leben der Frau. Keine Eroberung kann die fundamentale Leere in ihr füllen.