Allgemein,  Kritik,  Literatur

Ach, wie schön ist Venedig: Der Löwe, die Stadt und das Wasser von Cees Nooteboom

Der Löwe, die Stadt und das Wasser von Cees NooteboomLetztes Jahr besuchte ich Venedig für fünf Tage. Ich kam als Skeptiker und ging als Bekehrter. Die Schönheit dieser Stadt ist kaum zu fassen, ganz gleich wie lange man verloren auf das Wasser der Lagune schaut oder wie viele Fotos man knipst. Als ich im Programm des Suhrkamp Verlags dann dieses Frühjahr Cees Nootebooms Venedig: Der Löwe, die Stadt und das Wasser erblickte, musste ich das Buch haben. Eine Wiederkehr an diesen Sehnsuchtsort, nur würde mich kein Flugzeug dahin bringen, sondern Nootebooms schöne Sätze.

Der niederländische Schriftsteller Nooteboom ist Venedig scheinbar auf Lebenszeit verfallen. Seit er die Stadt 1964 das erste Mal bereiste, zog es ihn immer wieder zurück. Seine Beobachtungen und Gedanken sowie einige Fotos seiner Begleitung Helga van Beunigen hat er auf knapp 230 Seiten zusammengetragen. Die Sätze, die er schreibt, sind Gegenwärtig, die Jahrzehnte verwischen, sind ein paar Wimpernschläge in der Geschichtlichkeit der Stadt:

die Stadt wird mich anziehen und von sich stoßen, ich werde an immer wieder neuen Adressen wohnen, werde weiterhin darüber schreiben und lesen, die Stadt wird zu einem Teil meines Lebens werden, wie ich nie ein Teil ihres Lebens werde, wie ein Staubkorn werde ich durch ihre Geschichte flirren (S. 8).

Etwas ungläubig ist man als Besucher dieser Stadt, ein Wunder, das sich nicht aus den Augen waschen lässt, hat man es einmal erblickt. Ins Wasser gebaut, steht sie seit über Tausend Jahren und zieht von Jahr zu Jahr mehr Besucher in ihren Bann – durchaus zum Leidwesen der Einheimischen, deren Zahl stetig sinkt. Zu schön für ihr eigenes Gut. Nootebloom findet dafür besonders auf den ersten Seite immer wieder schöne Worte: “[ein] Traum von Palästen und Kirchen, von Macht und Geld, von Herrschaft und Niedergang, ein Paradies der Schönheit, das aus sich selbst vertrieben worden ist, weil die Erde ein so großes Wunder nicht ertragen kann” (S. 18). Zum Markusplatz fragt er: “Wie viel wohl alle Augen zusammen wiegen, die diesen Platz gesehen haben?” (S. 12).

Sich in Venedig zu verlieren: Nicht nur in ihre pittoreske Schönheit, sondern auch in Raum und Zeit. Wie in einem Traum sind die Gassen ein Labyrinth, in dem man schnell die Orientierung verliert. Plötzlich steht man am Wasser oder vor einer Mauer. Man verläuft sich nicht nur in ihrer Geografie, sondern flaniert auch durch eine lange Geschichte. Venedig ist Stadt und Museumsstück zugleich. In seinem Buch flaniert der Leser mit Cees Nooteboom durch beides – die Gassen und die Geschichte. Man sollte also keinen Reiseführer für die nächste Städtereise erwarten, wenngleich viel Inspiration aus diesem Text zu ziehen ist.

Wie in der Stadt verliert sich in Der Löwe, die Stadt und das Wasser die Zeit. Durch die Gegenwärtigkeit der Sprache, weiß man auch als Leser nicht, in welchem Jahr man den Autor gerade begleitet. Zehn Mal besuchte Nooteboom die Stadt, doch der Text ist nicht nach diesen Reisen strukturiert. Etwas anekdotisch-fragementiert wirkt sein Erfahrungsbericht dadurch – und herausfordernd zugleich. So schöne Beschreibungen er für seine Streifzüge findet, verweist der Text immer wieder über sich hinaus in eine reichhaltig Kulturgeschichte. Nooteboom schlendert nicht vom Strand des Lidos zur Gelateria. Er besucht die zahlreichen Kirchen, Museen und Friedhöfe der Stadt, wieder und wieder. Er beschreibt Venedig zu großen Teilen aus ihrer inneren Geistesgeschichte heraus, betrachtet Gemälde großer Meister und imaginiert Begegnungen mit den historischen Figuren, die diese Stadt seit jeher aufsuchten, von Ezra Pound, Thomas Mann und Franz Kafka zu Paolo Veronese und Casanova, dessen Flucht aus dem Gefängnis er bildreich einfängt, als wäre er ein Beobachter der Szene gewesen.

Eine kunsthistorische Vorbildung kommt dem Lesevergnügen entgegen. Wer in Venedigs Kulturgeschichte unbeleckt ist, wird mit neuen Informationen überschwemmt als wäre Acqua alta. Man kommt nur langsam voran – all die Namen und Orte. Man müsste eigentlich Wikipedia und einen Stadtplan zur Hand haben, um das Wissen, das in dieser zärtlichen Liebeserklärung an La Serenissima wohnt, wirklich verarbeiten zu können. So ist man in der Lektüre wie als Besucher der Stadt leicht verloren. Man kann es eigentlich gar nicht richtig aufnehmen. Seine Faszination mit dieser Stadt bringt Nooteboom wunderbar aufs Papier, aber Der Löwe, die Stadt und das Wasser ist sicher nicht Venedig für jedermann – schon gar nicht jener Tausender Besucher, die die Kreuzfahrtschiffe jeden Morgen bringen und am Nachmittag wieder mitnehmen.

Meinen Erfahrungsbericht zu Venedig lest ihr hier.

*

Der Löwe, die Stadt und das Wasser von Cees Nooteboom ist bei Suhrkamp erschienen.