Irgendwann zwischen 2001, der Gegenwart und einer nahen Zukunft verlieren und langweilen sich Videospielentwickler, gescheiterte Autoren, Hynotisieure und Schauspieler bei dekadenten Fressgelagen, Schießübungen und Kommunikationsversuchen, während der Fernseher schlechte Nachrichten bringt, die niemanden berühren. In Philipp Rödings zweitem Roman 20XX erscheint nichts dringlich, aber alles existenziell. Ein beunruhigendes Nebeneinander von Wohlstand und Langeweile, Tod und Armut bringt eine Welt am Rande des Ruins zum Vorschein.
Letzte Männer: August von Callan Wink
Callan Winks Der letzte beste Ort ist einer der besten Erzählbände der letzten Jahre. Drei Jahre später entführt der Debütroman August den Leser wie bereits die Stories ins “Flyover country”, also jenen Regionen der USA, die man meistens nur von oben sieht, wenn man von New York nach Los Angeles fliegt. Tatsächlich ist August eine Weiterentwicklung einer seiner Stories aus Der letzte beste Ort, “Breatharians”. Im Roman entwickelt Wink die Geschichte der auseinanderfallenden Farmersfamilie weiter und begleitet den zwölfjährigen August bis ins junge Erwachsenenalter, von Michigan in die Rocky Mountains von Montana.
Vernarbte Leben: Verge von Lidia Yuknavitch
Verge bedeutet zu deutsch Rand oder Schwelle. Einen trefferenden Titel hätte sich Lidia Yuknavitch für ihre zwanzig Stories nicht ausdenken können. Der Erzählband führt den Leser an die Ränder der Gesellschaft. Es sind Prostituierte, Waisen, Drogenabhängige, Homosexuelle und Drag Queens, die ihre eigenen und die Vorstellungen anderer navigieren und dabei manche Verwundung erdulden müssen.
Liebe, gegenwärtig: Allegro Pastell von Leif Randt
Leif Randt hat mit Allegro Pastell ein hervorragendes Buch über die Liebe zwischen Millennials geschrieben, das mit viel Eleganz, aber am Puls der Zeit und ohne jeden Kitsch geschrieben ist. Damit ist Allegro Pastell sogar auf der Shortlist des Preises der Leipziger Buchmesse gelandet. Gewonnen hat er ihn dann leider nicht – verdient hätte er es aber. Wenn man heute über Liebe schreibt, dann doch bitte so.
Mehr Leben durch Verzicht: If Cats Disappeared from the World von Genki Kawamura
In manche Bücher stolpert man eher unverhofft. Dieses fing meinen Blick im Museumsshop des Albertinums. Zwar hat If Cats Disappeared from the World nichts mit bildender Kunst zu tun, aber manch Museumsshop stellt sich heute ja gern etwas breiter auf. Der Titel klang spannend, das kleine Kätzchen auf dem Cover ist ein Blickfang und da ich meiner Erinnerung noch nie etwas von einem japanischen Autoren gelesen habe, griff ich einfach zu – und wurde mit einem kurzweiligen Roman belohnt.
Aufziehende Schatten: Der Lichthof von Hartmut Lange
Etwas bleibt verschlossen: Hartmut Lange veröffentlicht mit Der Lichthof vier Novellen, in denen seine Protagonisten keinen rechten Zugang zu ihrer Gegenwart haben und etwas überrumpelt werden von einem Wandel, der sich unergründlich an sie schleicht. Die keine hundert Seiten fassende Sammlung schließt mit einem autobiografischen Text, in dem der Autor von Weihnachten im Jahr 1944 erzählt. Auch hier ist er sich als Kind nicht gänzlich bewusst, was um ihn herum geschieht. Es sind fünf konzentriert erzählte Texte, die aus ihrer Ruhe heraus eine Atmosphäre der Unbehaustheit heraufbeschwören.
Irgendwas bleibt: Nach Mattias von Peter Zantingh
Peter Zantingh stellt seinem Roman Nach Mattias ein Zitat von Glen Hansard voran, in dem dieser sinngemäß schreibt, dass er hofft, dem Planeten mehr Gutes als Schlechtes zu hinterlassen. Genau um diese Frage dreht sich der episodenhafte Text dann auch: Acht Menschen erzählen aus ihrem Leben, nachdem ein junger Mann namens Mattias gestorben ist. Welchen Fußabdruck er in diesen Existenzen hinterlassen hat, ist mal mehr, mal weniger deutlich.
Das kalte Dorf: Power von Verena Güntner
Kerze sucht nach Power: So metaphorisch aufgeladen könnte man die Handlung von Verena Güntners Roman prägnant zusammenfassen. In Power erzählt sie von dem vorpubertären Mädchen Kerze, das sich auf die Suche nach dem entlaufenen Hund (Power) einer einsamen, älteren Dorfbewohnerin macht, um die sich sonst keiner weiter kümmert. Die Suche gestaltet sich schwierig, aber Kerze kennt keine Angst und hält immer alle Versprechen. Schließlich beschwört sie damit eine handfeste Krise in ihrem Dorf herauf.
Selbstversunken: Nicht mein Ding von Jami Attenberg
Single-Frauen Ende 30 in New York sind in Film, Fernsehen und Literatur ziemlich allgegenwärtig. Jami Attenbergs Roman Nicht mein Ding trifft den Sweet Spot zwischen sarkastischem Witz und Melancholie, den man oft in diesen Erzählungen findet, macht den Stoff aber dennoch zu ihrem ganz eigenen Ding. Kurzweilig, nachdenklich, am Puls der Zeit erzählt ihre Protagonistin Andrea davon, wie schwer es sein kann, sich selbst treu zu bleiben, ohne dabei völlig in sich selbst zu versinken.
Amazing Things Are Happening Here von Jacob M. Appel
Amazing Things Are Happening Here: Einen besseren Titel hätte Jacob M. Appel für seinen Erzählband nicht finden können. Und das liegt gewiss nicht nur an den teils wundersamen Ereignissen, die seine Texte schildern – sondern kann auch als treffende Beschreibung des Leseerlebnisses gelten. Appel ist ein fantastischer Band gelungen – möge sich doch ein hiesiger Verlag finden, der dieses Talent auch deutschen Lesern näherbringt.