Es ist kein Geheimnis auf diesen Seiten, dass ich Ottessa Moshfegh für eine der besten Schriftstellerinnen ihrer Generation halte. Homesick for Another World ist einer der besten Erzählbände dieses Jahrzehnts, ihr letzter Roman My Year of Rest and Relaxation schaffte es in meine Top 3 des Jahres 2018. Nun folgt mit Death in Her Hands ihr dritter Roman und er bestätigt das große Versprechen ihrer ersten Veröffentlichungen. Auf Ottessa kann man sich verlassen – klug, fantasievoll, unterhaltsam. Einfach gut!
“Wir tranken. Dann tranken wir noch was”: Alles muss ganz anders werden von Jörg Fauser
Jörg Fauser hatte gerade die Feier zu seinem 43. Geburtstag verlassen, als er in den frühen Morgenstunden des 17. Juli 1987 auf der A 94 tödlich verunglückte. Alkohol, frühe Morgenstunden, Unglück – das passt zu seinen zwischen 1975 und 1979 entstandenen Erzählungen, die jetzt gesammelt unter dem durchaus programmatisch zu verstehenden Titel Alles muss ganz anders werden bei Diogenes erschienen sind. Es ist eine Neuvorstellung eines Autors, der heute kaum noch geläufig ist, aber sicher Spuren in der deutschsprachigen Literatur hinterließ, beispielsweise als Vorbild für Schriftsteller wie Benjamin von Stuckrad-Barre.
Es geht um die Wurst: Future Food im DHMD
Eigentlich sollte sie ja bereits im März feierlich eröffnet werden, doch die Zukunft des Essens musste coronabedingt auf sich warten lassen: Future Food ist die neue Sonderausstellung des Deutschen Hygiene Museums Dresden (DHMD) und macht wie für die Institution üblich ein Alltagsthema anschaulich. Dass die Frage, wie wir uns künftig ernähren wollen, dringlich ist, zeigt die aktuelle Diskussion um die industrielle Fleischproduktion in diesem Lande – wenngleich man eher überrascht sein kann, dass die prekären Zustände für manch politisch Handelnden überraschend sind.
Wildes Treiben in der Vor-Vorstadt: Morgengrauen von Philippe Djian
Joan hat vor zwei Wochen ihre Eltern bei einem Autounfall verloren. Jetzt zieht sie aus der Stadt zurück in das Elternhaus, wo ihr autistischer Bruder Marlon noch wohnt. Dramatisch wird es, als ein ehemaliger Liebhaber ihrer Mutter, Howard, für Aufregung sorgt. Morgengrauen ist ein rasanter Roman für einen Nachmittag am Strand.
Die Suche nach Erkenntnis: Was wir voneinander wissen von Jessie Greengrass
Die Ich-Erzählerin in Jessie Greengrass’ Was wir voneinander wissen begibt sich auf eine Suche nach Erkenntnis, als sie sich die Frage stellt, ob sie mit ihrem Partner Johannes ein Kind empfangen möchte. Sie sucht dabei in ihrer eigenen Familiengeschichte sowie in den Biografien einflussreicher Wissenschaftler. Es ist ein Werk, das den Menschen als Suchenden zeigt, ohne die eine Erkenntnis je greifen zu können.
Hitzige Gemüter: Anton Čechovs Sommergeschichten
Der Erzähler Anton Čechov lebt etwas im Schatten der anderen beiden großen russischen Autoren, Tolstoi und Dostojewski. Diogenes ruft ihn mit einer Sammlung von Peter Urban übersetzten Sommergeschichten in Erinnerung. Es sind hitzige, humorvolle Erzählungen, die ins russische Gemüt an lauen Sommertagen tauchen.
Düstere Aussichten: Wir verlassen Kinder von Lucia Leidenfrost
Dorfkinder, die sich selbst überlassen werden: Dieses Szenario wird von jungen, deutschsprachigen Schriftstellerinnen in letzter Zeit öfter entworfen. Auf Karoline Menges Warten auf Schnee und Verana Güntners viel beachteten Roman Power folgt nun Lucia Leidenfrost mit Wir verlassenen Kinder. Es ist nicht nur das Setting – ein unbestimmter Ort zu einer unbestimmten Zeit -, den die Texte gemein haben. Auch die soziale Kälte, die durch diese elternlosen Gemeinschaften weht, eint sie.
Das Gefühl, ruiniert zu sein: 20XX von Philipp Röding
Irgendwann zwischen 2001, der Gegenwart und einer nahen Zukunft verlieren und langweilen sich Videospielentwickler, gescheiterte Autoren, Hynotisieure und Schauspieler bei dekadenten Fressgelagen, Schießübungen und Kommunikationsversuchen, während der Fernseher schlechte Nachrichten bringt, die niemanden berühren. In Philipp Rödings zweitem Roman 20XX erscheint nichts dringlich, aber alles existenziell. Ein beunruhigendes Nebeneinander von Wohlstand und Langeweile, Tod und Armut bringt eine Welt am Rande des Ruins zum Vorschein.
Letzte Männer: August von Callan Wink
Callan Winks Der letzte beste Ort ist einer der besten Erzählbände der letzten Jahre. Drei Jahre später entführt der Debütroman August den Leser wie bereits die Stories ins “Flyover country”, also jenen Regionen der USA, die man meistens nur von oben sieht, wenn man von New York nach Los Angeles fliegt. Tatsächlich ist August eine Weiterentwicklung einer seiner Stories aus Der letzte beste Ort, “Breatharians”. Im Roman entwickelt Wink die Geschichte der auseinanderfallenden Farmersfamilie weiter und begleitet den zwölfjährigen August bis ins junge Erwachsenenalter, von Michigan in die Rocky Mountains von Montana.
Vernarbte Leben: Verge von Lidia Yuknavitch
Verge bedeutet zu deutsch Rand oder Schwelle. Einen trefferenden Titel hätte sich Lidia Yuknavitch für ihre zwanzig Stories nicht ausdenken können. Der Erzählband führt den Leser an die Ränder der Gesellschaft. Es sind Prostituierte, Waisen, Drogenabhängige, Homosexuelle und Drag Queens, die ihre eigenen und die Vorstellungen anderer navigieren und dabei manche Verwundung erdulden müssen.