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Das flüchtige Glück: Grundlagenforschung von Anke Stelling

GRUNDLAGENFORSCHUNG. ERZÄHLUNGEN Anke StellingAnke Stellings Erzählband Grundlagenforschung taucht ab in die Kampfzone heterosexueller Paarbeziehungen, in denen ihre Protagonistinnen das Glück jagen und sofort misstrauisch werden, wenn es dann doch mal klappt. Es sind vierzehn schwungvoll erzählte Texte, die die Melancholie verkorkster Liebschaften humorvoll auflösen.

Man kann es nicht anders sagen: 2020 scheint das Jahr der Kurzprosa zu sein. Selten habe ich in den Vorschauen deutscher Verlagshäuser so viele Erzählbände gefunden. Der Berliner Verbrecher Verlag möchte dies scheinbar zur Gewohnheit werden lassen und bringt mit Grundlagenforschung den ersten Band einer neuen Reihe “kurze form”, in der nun zweimal jährlich Erzählungen erscheinen sollen.

Anke Stellings Grundlagenforschung ist gänzlich zwischenmenschlichen Verstrickungen verschrieben. Es ist ja auch ein Minenfeld. “Dass jeden Tag etwas Spannendes und Lustiges passieren sollte, zumindest etwas überdurchschnittlich Angenehmes oder gänzlich Unverhofftes, ließ Sandra nervös werden”, heißt es in “Leider nein” (35). Hier wartet eine junge Frau auf einen Anruf, der dann nur von der besten Freundin kommt. Sven ist ohnehin im Urlaub, aber so richtig will sie eigentlich einen anderen. Kompliziert! Und irgendwie ist man auch machtlos: “Wenn nicht mal ich, die wirklich motiviert ist, ihr Begehren ändern kann, gehört es vielleicht zu den Phänomenen, mit denen man sich abfinden muss”, denkt sich die Erzählerin aus “Die Stelle“, in der sie Ekel und Begehren gegeneinander aufzuwiegen versucht (51).

Selbst wenn es mit dem Begehren klappt, wie in “Glückliche Fügung”, bleibt da ein Rest Misstrauen: Simone wird hier von einem One-Night-Stand schwanger und gründet mit dem Erzeuger tatsächlich eine Familie – nur, was, wenn er mit der Nachbarin schläft? Kann das überhaupt funktionieren, wenn man sich im Vorhinein gar nicht kennt? Ruhe, das zeigt die folgende Erzählung “Schlimmstenfalls”, kehrt ohnehin nicht ein. Sind wir im Kopf so verkorkst, dass wir automatisch vom Schlimmsten ausgehen? Hier macht eine Familie Urlaub auf dem Bauernhof, Anke Stelling schmeißt den Leser in den Kopf der Mutter, die die Kinder hütet, während sie den am Abend nochmal weggefahrenen Mann nicht erreichen kann. Die darauf folgende Erzählung “Unbeständig und kalt” fasst das Dilemma gleich im ersten Absatz schön zusammen: “Mit dem Wetter ist es wie mit dem Liebesleben. Schönes Wetter ist schön. Aber wenn es zwei Wochen hintereinander jeden Tag schön ist, wirst du zwangsläufig nervös” (97). Manchmal, wie in “Raus”, passt es aber auch einfach nicht – aber das fällt dann in der Regel nur den Freunden (und dem Leser) auf.

Die Unwägbarkeiten der eigenen Erwartungen und das Leben machen mit einem Anderen bestimmen die inhaltliche Ausrichtung dieser Texte, die sämtlich mit einem flotten Ton erzählt werden. So dumm es für einige der Protagonstinnen auch läuft, diese Geschichten sind überwiegend mit sehr viel lakonischem Witz erzählt, ohne sich über die Fehldeutungen und Missgeschicke lustig zu machen, sind sie eher im liebevollen Ton einer Freundin geschrieben, die das Elend aufzulockern versucht. Leser können sich also an Grundlagenforschung in dem Gewissen trauen, bestens unterhalten zu werden. Wenn man der Autorin etwas ankreiden könnte, dann dass der eng gesteckte thematische Rahmen und der durchgehend humorvoll-flapsige Sound des Geschriebenen durchaus dazu führt, dass manch Geschichte an einem vorbeirauscht, ohne dass man im Nachhinein viel davon erinnert. Der eine oder andere inhaltliche wie stilistische Bruch hätte dieser Sammlung also gut gestanden, was allerdings nicht bedeutet, dass diese Texte nicht viel Wahres über den Menschen und dessen Begehrlichkeiten enthalten. Sicher ist aber, im Währenddessen amüsiert man sich bestens!

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Grundlagenforschung ist beim Verbrecher Verlag erhältlich.

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