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Frau ohne Eigenschaften? Auwald von Jana Volkmann

Auwald von Jana Volkmann RezensionIm Englischen gibt es zwei Wörter für Einsamkeit, loneliness und solitude. Während ersteres die eher traurig trübe Bedeutung des deutschen Wortes hat, ist solitude nicht negativ konnotiert. Jana Volkmanns Roman Auwald erzählt von einer jungen Frau, die aus ihrem Leben aussteigt und deren Einsamkeit eine selbst gesuchte, also solitude, ist.

Auwald ist ein kurzer, rätselhafter, fast träumerischer Roman, der dem Leser nicht alle Geheimnisse preisgibt. Der Prolog greift dem späteren Handlungsverlauf vor: Die Protagonistin Judith hat sich irgendwo in einer Höhle verkrochen, man bekommt den Eindruck, sie hält sich versteckt, möchte nicht gefunden werden. Hat sie etwas angestellt, für das man gesucht werden würde? Oder hat sie sich selbst zum Verschwinden gebracht?

Hier gab es niemanden, nur sie. Also gab es niemanden (11).

Judith ist eine introvertierte Frau. Sie lebt in Wien mit Ihrer Partnerin Lin, sie arbeitet als Tischlerin und bevorzugt Ruhe. Besonders das erste Drittel des Romans hat etwas traumwandlerisches: Es gibt keinen äußeren Konflikt, den die Hauptfigur im Verlauf der Handlung lösen müsste. Der Konflikt liegt vielmehr in Judith: Während es ihr einfach scheint, andere Menschen im Inneren zu berühren, bleibt sie von diesen abgeschnitten. Das spiegelt sich auch in der Sprache. Dinge oder Naturphänomene erscheinen ähnlich menschlich wie Menschen selbst, in Judiths Welt hat selbst der Sommer genug von sich selbst. Die Menschen in Judiths Leben – davon gibt es ohnehin nur wenige – erschienen folglich etwas konturlos. Die Beziehung zu Lin wirkt seltsam unverbindlich. Eine gemeinsame Reise nach Berlin verbringt sie praktisch allein, stiehlt sich bei jeder Gelegenheit davon. Bei der Arbeit verliert sie sich in Details,  macht freiwillig Überstunden. Da wird es sogar ihrem Vorgesetzten zu viel, der ihr einen Zwangsurlaub verordnet. Judith wirkt plan- bis ziellos. Die Zwangspause versucht sie mit einem Tagesausflug per Fähre nach Bratislava zu füllen, der beinah schlafwandelnd wirkt.

Vor allem im ersten Drittel hängt viel davon ab, inwiefern der etwas rätselhafte Prolog das Interesse des Lesers geweckt hat. Die Erzählung kommt, wie die Protagonistin, nur langsam in Tritt und erscheint mäandernd. Der Zufall bringt Bewegung: Das Rückfahrtticket wird Judith gestohlen – was sie beinah gleichgültig hinnimmt – und die Fähre verschwindet unerklärlich. Die Erzählung springt von der dritten Person in die erste Person – Judith zieht sich in den Auwald zurück, es bleibt nur noch das Ich…

Es ist nicht einfach, die Handlung des Romans – ohnehin nur sehr rudimentär – wiederzugeben, ohne zu viel zu spoilern. Auf der anderen Seite stellt sich die Frage – was kann man hier spoilern? Die Welt, die Auwald beziehungsweise Judith ab dem zweiten Drittel beschreibt, wirkt etwas entrückt und spielt überwiegend in Einsamkeit. Der durchaus existenzialistische Text gibt dem Leser Rätsel auf, die dieser, da er sich in der Perspektive der Eremitin verfängt, nicht wirklich auflösen kann. Er stellt eher Fragen an den Leser, wie jener, ob man völlig allein sein kann, ohne sich auch selbst zu verlieren. Auwald ist ein Text, in den man sich mit etwas Geduld einlesen muss, der sich dann aber wie eine fast schon märchenhafte Meditation über Einsamkeit liest und dann doch etwas schneller vorbei ist, als man es sich wünscht.

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Auwald ist beim Verbrecher Verlag erschienen.

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