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Wenn Träumen ein Job wäre: Andere Sterne von Ingvild H. Rishøi

Andere Sterne von Ingvild H. RishøiEine moderne Weihnachtsgeschichte: In Andere Sterne von Ingvild H. Rishøi müssen zwei Mädchen in einem Osloer Arbeiterviertel Weihnachtsbäume verkaufen, weil es der alkoholkranke Vater einfach nicht gebacken bekommt. Das klingt erst einmal trist und wenig nach skandinavischer Idylle, hat aber viel Herzliches und erstaunlich wenig Kitsch. Ein gutes Buch, nicht nur während der Adventszeit.

Blondgelockte Kinder in Strickpullis und flauschigen Ohrenschützern frohlocken durch schneebedeckte, weite Landschaften. Irgendwo knabbern Rentiere Flechten von Bäumen. So oder so ähnlich stellt man sich vielleicht Norwegen im Winter vor. Ingvild H. Rishøis Weihnachtsgeschichte Andere Sterne zeigt uns Tøyen, ein ethnisch durchmischtes Arbeiterviertel in Oslo, wo man eher in die Moschee als in die Kirche geht. Hier leben die zehnjährige Ronja, ihre große Schwester Melissa mit ihrem Vater. Der hatte schon einige Jobs und trinkt zu viel, sodass er mal wieder arbeitslos und der Kühlschrank gähnend leer ist. Die Kinder ernähren sich überwiegend von Cornflakes.

Besserung scheint in Sicht, als der Hausmeister der Schule Ronja einen Tipp gibt: Ihr Vater könne doch Weihnachtsbäume verkaufen. Ronja wünscht sich selbst einen Weihnachtsbaum, aber leisten kann sich die Familie diesen Luxus nicht. Der Vater bekommt den Job, bleibt nüchtern, füllt den Kühlschrank auf – bis eine Säuferfreundin wieder vor der Tür steht.

Melissa hatte schon geahnt, dass das Glück nur von kurzer Dauer sein wird. Als der Vater arbeitsunfähig seinen Rausch ausschläft, übernimmt die resolute Teenagerin dessen Job – zu schlechteren Konditionen. Denn Eriksen, dem Besitzer des Verkaufs, sind ein guter Ruf und gute Konditionen wichtiger als Nächstenliebe. Ronja, die mithelfen und die trotz aller Zuneigung zum Vater nicht zuhause bleiben will, folgt der großen Schwester zur Arbeit und wird von einem dortigen Mitarbeiter gleich eingespannt: Denn neben einem Weihnachtsbaum kaufen sich die Menschen in der Adventszeit am liebsten ein gutes Gewissen.

Wenn man arbeitet. Dann muss man an nichts denken und nichts fühlen und sich nichts fragen (63).

Ein echtes Traumgespann: Die zwei Mädchen machen ordentlich Umsatz, Weihnachten scheint gerettet. Doch auch dieses Glück gerät alsbald in Gefahr, als dem miesepetrige Eriksen das Gerücht von Kinderarbeit zu Ohren kommt…

Andere Sterne ist ein wunderbarer, kurzer Roman, erzählt von der einnehmenden Erzählstimme Ronjas, die ohne viele Schnörkel in kurzen Vignetten aus ihrem Leben erzählt. Ingvild H. Rishøi hat als Kinderbuchautorin ein schönes Gespür für den kindlichen Blick Ronjas, deren Perspektive sich wunderbar von dem bereits etwas abgeklärten Gebaren der großen Schwester unterscheidet. Ein schönes Buch – auch für Weihnachtsmuffel.

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Andere Sterne ist bei Dumont erschienen.

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