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Amazing Things Are Happening Here von Jacob M. Appel

Amazing Things Are Happening HereAmazing Things Are Happening Here: Einen besseren Titel hätte Jacob M. Appel für seinen Erzählband nicht finden können. Und das liegt gewiss nicht nur an den teils wundersamen Ereignissen, die seine Texte schildern – sondern kann auch als treffende Beschreibung des Leseerlebnisses gelten. Appel ist ein fantastischer Band gelungen – möge sich doch ein hiesiger Verlag finden, der dieses Talent auch deutschen Lesern näherbringt.

Während amazing die Qualität der hier acht versammelten Erzählungen mit einem Wort auf den Punkt bringt, kann das auch für die Biografie des Autos gelten: 1973 in New York geboren. hat der Mann nicht nur eine Reihe literarischer Preis eingesammelt, sondern auch Universitätsabschlüsse von Eliteinstitutonen in Medizin, Recht und Bioethik. Es handelt sich zweifelsfrei um einen klugen Kopf und die Intelligenz schimmert durch jede seiner Stories.

Manche Menschen werden einen niemals lieben. Unerwiderte Liebe ist das große Thema, das diese insgesamt sehr unterschiedlichen Geschichten bindet. Oft berichten die Erzähler von einer inzwischen viele Jahre zurückliegenden Jugend, dem ersten Schwarm, der nie zurück schwärmte. Dabei hat Appel ein ungeheures Talent, den Leser gleich mit dem ersten Satz in diese mit zu gleichen Teilen Humor und Melancholie durchwobenen Geschichten zu ziehen, nur um im letzten Satz oft noch einen Stich zu setzen, der den Leser zurück durch das just Gelesene schickt.

“Canvassing” beginnt zum Beispiel so: “I was once – briefly – a suspect in a murder case” (1). Am Ende ist nicht so ganz klar, wer der Mörder war. Der Erzähler berichtet jedenfalls von einer Mitschülerin, in die er schrecklich verliebt war, die diese Gefühle aber nicht erwiderte. Heute ist er mit ihrer jüngeren Schwester verheiratet – die Ältere wurde umgebracht.

“Grappling” erzählt von einem Alligator Rodeo, bei dem ein unwirscher Einzelgänger die Tochter des Veranstalters rettet. Sie verliebt sich in ihren Helden, der nach der Tat spurlos verschwindet. Zentraler Charakter ist der Mann, der in der Folge um ihre Gunst buhlt – nur um wieder und wieder versetzt zu werden – bis er selbst die Chance bekommt, der große Retter zu sein.

Ähnlich wie “Grappling” zeugt auch “The Bigamist’s Accomplice” von der ungeheuren Imagination, die in Amazing Things Are Happening Here zum Vorschein kommt. Hier wird von Arlene erzählt, die ihren inzwischen dementen Mann in einem Pflegeheim besucht. Einst ein erfolgreicher Arzt, ist er nun auf Hilfe angewiesen. Er hat wohl auch zu seinen besseren Tagen nichts anbrennen lassen – nun will er aber eine ebenfalls in Pflege befindliche Frau heiraten. Deren Mann unterstützt diese Idee sogar – wieder stellt sich die Frage nach Liebe und was Menschen bereit sind, dafür zu geben.

Thematisch ist es die Titelstory, die heraussticht: Es ist auch eine der wenigen Erzählungen, die in der ersten Person geschrieben und deren Handlung nicht in der länger zurückliegenden Vergangenheit angesiedelt ist. Sie spielt in einer psychiatrischen Klinik, in der ein Patient plötzlich vermisst wird. Der Erzähler – ein Pfleger – versucht das Ganze zu vertuschen, da er Angst um seinen Job hat. Er findet Gefallen an dem Spiel, manipuliert die Ärzte so, dass sie den verschollenen Patienten eines Tages entlassen mögen und er vom Haken ist. Das Spiel und die Macht, die es ihm gibt, gefallen ihm mehr als gut.

All diese acht Stories sind hervorragend beobachtet, voller lebhafter Details, einem perfekten Gespür für wörtliche Rede und ambivalenten Protagonisten, die einem genauso viel erzählen wie sie Rätsel aufgeben. Man versinkt als Leser ab der ersten Zeile in diesen Welten und bleibt lange über die letzte hinaus. Ein großartiger Erzählband!

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Amazing Things Are Happening Here erschien 2019 bei Black Lawrence Press