Eine unbequeme Vorstellung: Während man gemütlich auf der Couch sitzt, springt woanders womöglich jemand von einem Dach. Die Gleichzeitigkeit allmöglicher Dinge, von Glück und Tragik, ist schwer miteinander in Einklang zu bringen. Simone Lappert macht mit ihrem überaus gelungenen Roman Der Sprung genau dies und findet Berührungspunkte in oberflächlich betrachtet voneinander losgelösten Leben.
Erste Liebe rostet nicht: Queen July von Philipp Stadelmaier
Manche Menschen lassen einen einfach nicht los, auch nicht, nachdem sie schon lange losgelassen haben. So geht es zumindest Aziza, deren erste Liebe sie seit achtzehn Jahren wie ein Phantom heimsucht. An einem heißen Sommer in Paris erzählt sie der in einer Badewanne sitzenden und Weißwein schlürfenden July davon. Philipp Stadelmaiers Queen July ist ein luftig leichter, kurzer Roman über die Liebe und die Freundschaft.
Der ganz normale Wahnsinn: Die Weihnachtsgeschwister von Alexa Hennig von Lange
Alexa Hennig von Lange hat für ihren Roman Kampfsterne viel Aufmerksamkeit bekommen letztes Jahr. Ihr vielstimmiges 80er Jahre BRD-Gesellschaftsportrait ist ein rasant erzählter Text, der sich zum Ende hin zu überschlagen drohte. Ihr neuer, halb so langer Roman Die Weihnachtsgeschwister bietet weniger dramaturgischen Bombast und gehört für mich zu ihren besten Texten seit dem Debütroman Relax und der Novelle Woher ich komme. Er passt natürlich auch wunderbar in die Jahreszeit.
Mutterlos in Berlin: Levi von Carmen Buttjer
Carmen Buttjers Romandebüt Levi verhandelt Erwachssenwerden und Verlust auf flott erzählte und durchaus eigenwillige Weise. Der elfjährige Levi hat seine Mutter verloren, klaut ihre Urne während der Beerdigung und streunert verloren durch Berlin. Orientierung geben ihm dabei zwei väterliche Freunde,- das Verhältnis zum eigenen Vater ist distanziert und wird durch einen schlimmen Verdacht zusätzlich belastet.
Vater, Mutter, Kim von Eivind Hofstad Evjemo
Der Roman Vater, Mutter, Kim des Norwegers Eivind Hofstad Evjemo beginnt damit, dass am 29. Juli 2011 eine Familie in ihr Wohngebiet zurückkehrt. Doch ein Sitz bleibt leer, die Tochter “war von etwas mitgerissen worden, was sich außerhalb dieser Idylle befand” (14). Dieses Etwas geschah am 22. Juli 2011, als der Rechtsterrorist Anders Behring Breivik 77 Menschen in den Tod riss, viele davon Jugendliche, die an einem Zeltlager der Jugendorganisation AUF teilnahmen. Evjemos ruhig erzählter Roman über unaussprechlichen Verlust streift dieses grässliche Etwas nur, konzentriert sich stattdessen auf das, was in der Idylle zurückbleibt.
Was für ein Theater: Der junge Doktorand von Jan Peter Bremer
Seit zwei Jahren warten die Eheleute Greilach in einer Mühle irgendwo in der Einöde auf den Besuch eines jungen Doktoranden. Es scheint, als hätten sich die Erwartungen an diesen Besuch ins Unermessliche gesteigert. Und als der Mann dann endlich auftaucht, geht natürliches alles schief. Der junge Doktorand von Jan Peter Bremer liest sich wie ein Theaterstück. Es ist eine kurzweilige Komödie über zwei Menschen, die sich eigentlich nur noch auf den Geist gehen und aneinander vorbeireden.
Es werde Mensch: Die Nacht war bleich, die Lichter blinkten von Emma Braslavsky
Berlin, nahe Zukunft: Niemand muss mehr allein sein, denn jeder kann jetzt seinen personalisierten Partner haben. Der Robotik sei Dank. Und doch: Noch nie haben so viele Menschen Suizid begangen – sodass die Stadt eigens eine Sonderermittlungseinheit ins Leben gerufen hat, um die mit den Selbstmorden verbundenen Kosten niedrig zu halten. In Die Nacht war bleich, die Lichter blinkten lässt Emma Braslavsky ausgerechnet einer KI-Sonderermittlerin die Aufgabe zuteil werden, menschlich zu sein.
Jemand eigenes sein: Schöner als überall von Kristin Höller
In Kristin Höllers Debütroman Schöner als überall fremdelt ein junger Erwachsener mit seinen Freunden, seiner gutbürgerlichen Herkunft und vor allem mit sich selbst. Ein betrunkener Schabernack mit seinem besten Freund führt ihn überstürzt aus München einige hundert Kilometer zurück in sein Heimatdorf. Wie in Coming of Age Romanen üblich, führt diese Reise durch große Verunsicherung zu einer Selbstverortung. Ein gelungenes, wunderbar erzähltes Debüt.
Überhitzung: Kampfsterne von Alexa Hennig von Lange
Was das Lesen angeht, war Alexa Hennig von Lange so etwas wie meine erste Liebe. Ihr Debütroman Relax (1997) war einige Wochen das Gespräch auf dem Pausenhof, weil er die gängigen Vorstellungen von Literatur, die man als Jugendlicher durch den Deutschunterricht so hat, sprengte: Ein aufregendes Wochenende in Berlins Technoszene, erzählt in rasend schneller, rotziger Sprache, endlos unterhaltsam, witzig und verblüffend. Jetzt, beinah zwanzig Jahre später, ein Wiedersehen: Im August erschien Hennig von Langes neuer Roman Kampfsterne bei Dumont.
Die transformative Kraft des… Schlafens? My Year of Rest and Relaxation
Ottessa Moshfegh zählt ohne Frage zu den aufregendsten Stimmen amerikanischer Erzählliteratur. Ihre erste Veröffentlichung, McGlue, brachte ihr einige Preise ein – aber keinen kommerziellen Erfolg. Das änderte sich mit ihrem Debütroman Eileen, einer rabenschwarzen Noir-Erzählung, die für den renommierten The Man Booker Preis nominiert war und zum Bestseller avancierte. Ihre Short Stories sind mitunter das Beste, was in dieser Gattung in letzten Jahren zu lesen war. Die Erwartungen an den zweiten Roman My Year of Rest and Relaxation (deutsch: Mein Jahr der Ruhe und Entspannung) sind entsprechend hoch.