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Gerhard Richter. Neue Zeichnungen 2017 – 2020 im Albertinum

Gerhard Richter. Neue Zeichnungen 2017 - 2020 im AlbertinumMit Gerhard Richter verbinde ich meinen ersten von vielen Besuchen im Albertinum. Es muss in etwa um die Zeit der Neueröffnung des Hauses gewesen sein, ausgestellt wurde zu jener Zeit der berühmte RAF-Zyklus des in Dresden geborenen und 1961 in den Westen geflohenen Künstlers. Heute hat er Dauerhaft zwei Räume in der Dauerausstellung des Albertinums. Aktuell ist noch ein dritter hinzugekommen: Zu sehen sind dort Neue Zeichnungen 2017 – 2020.

In der Ausstellung werden 70 Bleistiftzeichnungen präsentiert, die der Künstler nach einer Schaffenspause anfertigte. Die kleinformatigen Werke sind datiert, das jüngste mit dem 1. Januar 2020. Auch wenn darauf hingewiesen wird, dass die Daten nicht unbedingt den Tag der Fertigstellung beziffern müssen, sind es zweifelsfrei frische Bilder, die hier erstmalig der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.

Neue Zeichnungen 2017 – 2020 konstituiert sich aus ausnahmslos abstrakten Arbeiten. Sie wurden sämtlich mit dem Bleistift angefertigt, bei einigen wurden aber auch bunte Fettstifte eingesetzt. Und wie es bei abstrakter Kunst nun mal ist, spricht sie mit dem Betrachter – oder nicht. Besonders wenn es sich um kleine Formate handelt, die dicht neben- und übereinander gehängt sind, ist es schwer sich darin zu verlieren – anders als bei den abstrakten Großformaten, die in den Richter-Räumen der Dauerausstellung zu sehen sind.

Gerhard Richter. Neue Zeichnungen 2017 - 2020 im Albertinum
24.11.18

Man muss also etwas näher rangehen, um die Zeichnungen einzeln aufzunehmen. Bleistiftlinien zittern sich über graue Flächen, in die zum Teil radiert wurde (eine ähnliche Technik verfolgte Gerhard Richter schon bei seinen abstrakten Ölbildern, bei denen er Farbe wieder abschabte). Muster, Formen, Anknüpfungspunkte ergeben sich dabei nur selten. Im Begleitheft der Ausstellung wird sodann eine Tagebuchnotiz des Meisters aus dem Jahr 1986 zitiert: “Die Absicht: nichts erfinden, keine Idee, keine Komposition, keine Form – und alles erhalten.” Das Resultat ist eine “absichtslose Komplexität”, wie es Dietmar Elger am Ende des Begleithefts schreibt. Weniger oxymonorisch ließe sich der Eindruck, den viele Bilder hervorrufen, auch als chaotisch bezeichnen. Der Geist kapituliert. In manchen Werken findet er aber etwas, wird angeregt, zum Beispiel in der auf den 24.1.2018 datierten Bleistiftzeichnung, wo der Stift ein sattes, plastisch wirkendes Schwarz in die Bildmitte bringt und Radierungen den Eindruck einer Geysirlandschaft erwecken, in deren Hintergrund ein Gebirge thront. Überwiegend wird man jedoch auf die rein ästhetische Wirkung der Bilder zurückgeworfen, die im Einzelnen ob der großen Zahl vor dem inneren Auge schnell ineinanderbluten. Es ist ein ziemliches Gekritzel, das unausweichlich die sicherlich unangebrachte Frage durch den Kopf geistern lässt, ob man sich dafür interessieren würde, stünde da nicht der Name Gerhard Richter – immerhin einer der teuersten lebenden Künstler der Gegenwart.

Der Leser ahnt es schon: Für sich genommen füllen die abstrakten Zeichnungen keinen Nachmittag im Museum. Man betrachtet sie, schickt den Geist auf Wanderung, aber er findet nicht viel. Aber irgendwas ist da doch: Die Bilder sind zu großen Teilen angenehm anzusehen – besonders die Kombination aus Bleistift und flächig aufgetragenen, farbenfrohen Wachsstiften spricht mich ästhetisch an. Den Rest des Nachmittags verbringt man dann aber lieber in den anderen Ausstellungsräumen der Galerie Neue Meister.

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Neue Zeichnungen 2017 bis 2020 ist noch bis zum 03.05.2020 zu sehen. Weitere Informationen.