Lydia Mischkulnigs bei Leykam erschienener Erzählband Die Gemochten versammelt dreizehn wortgewandte, idiosynkratische Texte, die vor klugen Ideen strotzen, sich manchmal aber etwas zu verschlossen geben. Es ist ein überwiegend gelungener Band, dem man am besten häppchenweise begegnet.
Transnationale Eliten: Schlachtensee von Helene Hegemann
Helene Hegemann betrat 2010 die literarische Bühne als 18-jährige Sensation aus der sich ein Plagiatsskandal entwickelte. Ich las dann Strobo statt Axolotl Roadkill. Heute, zwölf Jahre später, ist sie etabliert als Regisseurin und Schriftstellerin. Schlachtensee ist ihr erster Erzählband und meine erste wirkliche Begegnung mit ihr. Ein zwiespältiges Erlebnis: Hegemann hat zweifelsfrei eine eigene Stimme – und das ist schon mal viel wert – aber die einzelnen Stories in Schlachtensee lassen einen oft kalt. Es ist eine Sammlung, die kumulativ funktioniert.
“Doch das Wünschen hilft nicht”: Supermilch von Philipp Böhm
Der Verbrecher Verlag hat vor drei Jahren eine neue Serie gestartet: Jedes Jahr wird ein Erzählband verlegt. Das kurze form Programm bekommt mit Philipp Böhms Supermilch seinen stärksten Eintrag: Erzählt in einer im Werden befindlichen Zukunft lassen die temporeichen Texte die Keime der Gegenwart zu nicht immer schönen Blüten wachsen.
Ein unheimliches Rauschen: Die rote Pyramide von Vladimir Sorokin
Manche Bücher kommen zur rechten Zeit; und so schlug ich Vladimir Sorokins neuen Erzählband Die rote Pyramide auf, als die Kulisse an der Ukraine immer bedrohlicher wurde. Nun, nachdem der Schrecken in der Realität angekommen ist, klingen diese Erzählungen, viele davon von einem mal mehr, mal weniger greifbaren Gefühl des Unheils heimgesucht, noch eindringlicher nach.
Literarisches Mixtape: Die Musik auf den Dächern von Selim Özdogan
In welcher Gattung spielt Die Musik auf den Dächern, die uns Selim Öszdogan uns hier als Erzählband präsentiert? Es ist nicht alles Fiktion: Klassische Kurzgeschichten treffen auf Essayistisches und Autobiografisches. Es ist also mehr Mixtape als Symphonie, der Wechsel ist bemerkenswerter als die Einzelstücke.
Was uns durch die Nacht trägt: Toronto von Kenneth Bonert
“Was uns durch die Nacht trägt” ist der Untertitel zu Kenneth Bonerts hervorragendem Erzählband Toronto und er gibt viel Preis von der unterschwelligen Stimmung, die diese vier Texte beseelt. Neben Menschen, die in Begegnungen Veränderung finden und Halt suchen, ist die kosmopolitische Stadt Toronto der eigentliche Protagonist des Bandes. Es ist eine Stadt mit eisigen Wintern, bevölkert von Zugezogenen, die sich finden und verlieren.
Momentaufnahmen: Daddy von Emma Cline
Emma Clines Erzählband Daddy weckt schon ob des Titels gewisse Assoziationen. Es könnte um alte weiße Männer gehen, den männlichen Blick, Sex. Und daran orientieren sich auch die meisten Besprechungen, die bisher dazu erschienen sind. Die eigentlichen Texte sind jedoch weitaus vager und ambivalenter, als es der Titel vorgibt. Unaffektiert und schnörkellos erzählt Cline aus Momenten der Leben von Männern und Frauen, die wie zufällig herausgegriffen wirken.
Furcht und Sehnsucht: Filthy Animals / Vor dem Sprung von Brandon Taylor
Brandon Taylors Kurzgeschichtenband Filthy Animals (deutsch: Vor dem Sprung bei Piper) ist weniger wild, als es der Titel andeutet. Die teilweise miteinander verzweigten Geschichten spielen im kühlen Midwesten der USA und zeigen in kristallklarer, ruhiger Sprache überwiegend Menschen in ihren 20ern, deren Sehnsüchte ins Leere zu laufen scheinen. Eine große Unverbundenheit eint die Protagonisten dieser elf Erzählungen.
Johnny Would You Love Me If My Dick Were Bigger von Brontez Purnell
Man kennt es ja eher von Hip Hop Alben, dass dort der Hinweis “Parental Advisory Explicit Content” steht. Dieser ziert auch den Band Johnny Would You Love Me If My Dick Were Bigger von Brontez Purnell – völlig zurecht. Nach einer erstmaligem Bekanntschaft mit dem Amerikaner durch dessen aktuellen und sehr zu empfehlenden Erzählband 100 Boyfriends wollte ich nochmals von dieser verbotenen Frucht kosten. Johnny Would You Love Me If My Dick Were Bigger aus dem Jahre 2017 schlägt unverkennbar in dieselbe Kerbe, ist aber nicht ganz so gut, wie das spätere Werk.
Ich bin hier nur Gast: Always Happy Hour von Mary Miller
“Wir sind alle bloß Ableitungen […], wir alle tun nur so als ob” (42) heißt es an einer Stelle in Mary Millers Erzählband Always Happy Hour, in dem die meisten ihrer elf Erzählerinnen – weiß, um die 30, gebildet – ziemlich ähnliche, unerfüllte Leben führen, sowohl in privater wie in beruflicher Hinsicht. Ein akutes Bewusstsein für die eigene Unzufriedenheit zieht sich durch diese Geschichten – ebenso wie das Gefühl für die eigene Unfähigkeit daraus – aus sich selbst eigentlich – auszubrechen. Es ist ein starker Band, am Puls der Zeit des Milieus, das hier abgebildet wird, der, wenn man Miller etwas ankreiden will, den einen oder anderen Ausreißer gut vertragen hätte.