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Wirklichkeiten: Die Gemochten von Lydia Mischkulnig

Die GemochtenLydia Mischkulnigs bei Leykam erschienener Erzählband Die Gemochten versammelt dreizehn wortgewandte, idiosynkratische Texte, die vor klugen Ideen strotzen, sich manchmal aber etwas zu verschlossen geben. Es ist ein überwiegend gelungener Band, dem man am besten häppchenweise begegnet.

“Jeder Mensch ist künstlich, weil jeder etwas aus sich machen muss, was nicht natürlich wächst” (10): Das ist einer von vielen Sätzen in Die Gemochten, die innehalten lassen, die man unterstreicht. Und manchmal sind sie die Belohnung dafür, dass man am Ball geblieben ist. Zitiert ist dieser Satz aus der Eröffnungserzählung “Ahhhhhhhhhhhhhmen”, deren Handlung ich heute, gut eine Woche nachdem ich sie gelesen habe, nicht mehr rekapitulieren kann. Die Texte, stets etwas abseitig, folgen einem eigenen Takt, wie der ungeheure Wortschatz, aus dem sie zusammengesetzt sind. Das klingt an Stellen etwas gestelzt und artifiziell. Aber auch überraschend. Es braucht jedenfalls Geduld, um sich einzufinden. Immer wieder stolpert man. Nebenbei mal kurz eine Geschichte lesen: Nicht angezeigt.

Linear, zugänglicher wird es bei der dritten, der Titelgeschichte: In “Die Gemochten” wird von Egon und Manuela erzählt, die sich wöchentlich in einem Stundenhotel treffen, “nicht um einander zu lieben, sondern um einander zu mögen” (27). Wenig später wird erklärt: “Lieben bedeutet, sich gegenseitig Lust zu bereiten, um dann die Körpersäfte zu tauschen. Die beiden kommen hier nur zusammen, weil sie einander mögen und sich ein Alibi für sexuelle Handlungen geben” (29). Eine Begegnung, ritualisiert, die ohne gängige Vorstellungen von Lust und Leidenschaft im Sichmögen die nachhaltigere Form des Zusammenseins findet. Aber ist dem wirklich so oder ist dies nur ein sprachlicher Kniff, um sich besonders zu machen, man letztlich das gewöhnliche Leben mit einer Liebelei würzt?

Sprache, so zeigt es eigentlich bereits die erste Erzählung an, maskiert, verändert, schafft Wirklichkeiten, die stets instabil sind. Sie ist, wie die Fähigkeiten, die sich ein Mensch im Laufe des Lebens aneignen muss, nicht von Natur aus gewachsen. Nicht natürliche Dinge, Pixel und Roboter, wirbeln sodann auch durch diese Texte wie ungewöhnliche Wortkombinationen (“ausgetötete Zigarette”). In “Uncannny Valley” bereist die Erzählerin Japan und begegnet Roboter-Robben, die in der Pflege eingesetzt werden. Literatur und das Schreiben, wieder etwas Künstliches, wird gleich in zwei Texten thematisiert (“Nora Schreibt”, “Mutterhirn”). Neben kuriosen Zwischenmenschlichkeiten und den Ambivalenzen, die sich zwischen Worten auftun können, ist selbst die Erzählsituation nicht immer auf dem ersten Blick zu erkennen. Während sich “Uncanny Valley“ wie ein Essay über Robotik liest, wähnt man sich in “Am Ufer des Nahrungsstroms” von einem auktorialen Erzähler begleitet, der sich letztlich aber als diegetisch herausstellt. Hier erzählt ein Mann über seine Partnerin, eine gut verdienende Frau mit sozialem Gewissen, während diese Gänsestopfleber zubereitet und als Diätikerin entscheiden soll, ob Asylsuchende im Hungerstreik zwangsernährt werden sollen. Wieder so etwas Unnatürliches. Und wieder stürzen unvereinbare Wirklichkeiten übereinander zusammen.

Bei all der sprachlich belasteten Künstlichkeit ist es dann nur konsequent von der Österreicherin, wenn sie Die Gemochten in der letzten Erzählung “Am Pult” ins Vorsprachliche zurück gleiten lässt: Hier finden ein paar Menschen im letzten Drittel ihres Lebens zu einer Weiterbildung zu Lebensberatern zusammen und versuchen, wieder Affen zu sein.

Nicht jeder Leser wird diese Texte mögen.

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Die Gemochten ist bei Leykam erschienen.

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