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Spielchen des Alltags: Games and Rituals von Katherine Heiny

Games and RitualsKatherine Heinys gleichzeitig urkomischer wie großherziger Erzählband Games and Rituals erzählt von Figuren in ihrem Alltag und den Rissen, die sich darin auftun. Nicht selten kommt die Frage auf, ob diese überwiegend im Leben Angekommenen durch die bisherige Reise wirklich gereift sind. Games and Rituals bietet elf meisterhaft erzählte Stories über den Komfort des Alltags und den unbewussten Drang, ihm zu entfliehen.

Ist man zehn, zwanzig Jahre nach der wechselhaften und aufregenden Zeit der Jugend zu einem in sich ruhenden, verantwortungsvollen Menschen gereift? Diese Frage schimmert durch mehrere Erzählungen dieses Bandes. In “Damascus” freut sich die alleinerziehende Mutter Mia über ihren heranwachsenden Sohn. Er sieht glücklich aus, “high on life”. Oder ist er einfach nur bekifft? Mia fragt sich, ob sie – als Teenagerin Stonerin durch und durch – zu ihrer ahnungslosen Mutter geworden ist. Die Antwort ist nicht so einfach gefunden, denn schließlich ist es Mia, die sich unverhofft entkleidet und zugekokst im Büro ihres Ex-Mannes wiederfindet. Der Mensch, so scheint es, wird immer damit beschäftigt sein, auszuschlagen und sich selbst zu verorten. Die Jugend hält nicht das alleinige Patent auf Fehlverhalten. In “Twist and Shout” muss eine Tochter zu ihrem Vater fahren, weil dieser sein 4.000 Dollar teures Hörgerät mit einer Cashew verwechselt hat – und dabei darf er wegen hohen Blutdrucks nicht einmal Cashews essen! Hat sich also ein Rollenwechsel verzogen, die pflichtbewusste Tochter und der trotzige Vater? Nicht so ganz – beide schreien sich nicht nur wegen der Hörprobleme des Älteren an. In “CoBra” ist die Frau des Protagonisten der Entrümpelungsphilosophie von Marie Kondō verfallen. Wird er, nun wo die Küken das Nest verlassen, auch aussortiert?

William had begun to worry that he no longer sparked joy in his wife and that she would give him to goodwill. It was alarmingly easy to picture. His wife would thank him for his service and then drop him off at the donation center (192).

Katherine Heiny erzählt mit Empathie und Humor von den alltäglichen Prozessen eines Lebens. Die besten Geschichten in Games and Rituals zeigen Figuren im Spannungsverhältnis zwischen ihren profanen Leben und den Spielchen, auf die sie sich einlassen, um ihm zu entfliehen, ohne ihn aber gänzlich zurücklassen zu wollen. So führt der Protagonist in “King Midas” zwar eine Affäre zu einer jüngeren, alleinerziehenden Mutter, hat aber nicht die Absicht, in ein neues Leben aufzubrechen. In “Pandemic Behavior” nimmt dies geradezu groteske Züge an: Die Erzählerin ist kurz vor der Corona-Pandemie mit ihrer Mitbewohnerin zusammengezogen. Beide richten sich in diesem gleichförmigen Alltag aus Zoom-Calls, Desinfektionsorgien und Klopapier-Horterei so gut ein, dass es scheint, als könnten sie für immer so leben – und auf unglückliche Weise glücklich sein.

Games and Rituals ist ein fast perfekter Erzählband. So gut wie jede dieser Stories ist überraschend und vermag es, postmoderne Lebensverhältnisse zu porträtieren und dabei witzig, aber nie albern zu sein.

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Die Rezension bezieht sich auf die englischsprachige Originalausgabe. Eine deutsche Übersetzung ist noch nicht erschienen.

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