Putziges aus der Welt der Tiere: Warum die Giraffe nicht in Ohnmacht fällt von Katherine Rundell ist ein Band unheimlich unterhaltsamer Essays, der uns Staunen lässt, zum schmunzeln bringt und melancholisch macht: Voller kurioser Geschichten über den missverständlichen Blick, den der Mensch auf die Welt der Tiere wirft und den Sinn für das verstellt, was an ihnen wahrlich bemerkenswert ist. Bemerkenswert ist auch die Gestaltung des Buches: Wunderschön illustriert und mit Gold sprenkeln eingebunden, verdient es einen Platz in jedem Buchregal.
Romeo und Julia auf dem Friedhof: Als wir Vögel waren von Ayanna Lloyd Banwo
Ayanna Lloyd Banwo Debütroman Als wir Vögel waren erzählt von einer ungewöhnlichen, magisch angehauchten Liebesgeschichte in Trinidad. Es ist ein von Mythen durchzogener Roman über kreolische Tradition und Großstadtmoderne mit Elementen des magischen Realismus.
Irgendwann werden wir uns alles erzählen von Daniela Krien
Die Mauer ist weg. Im Sommer 1990 erlebt die bald 17-jährige Marie eine Wende im Äußeren und im Inneren. Daniela Kriens Roman Irgendwann werden wir uns alles erzählen entführt den Leser in die ostdeutsche Provinz wenige Monate vor der Wiedervereinigung. Atmosphärisch dicht erzählt, gelingt der Autorin ein packendes Portrait einer Jugend zwischen Aufbruch, Verharren und Unsicherheit.
Große Erwartungen: Ambivalenz von Amélie Nothomb
Dominique ist Sekretärin fernab von Paris, als ein Verehrer versucht, sie im Sturm zu erobern. Sein intensives Werben geht auf. Claude ist ein Mann großer Ambitionen, doch als er Dominique geehelicht und geschwängert hat, erkaltet er. Ambivalenz von Amélie Nothomb ist ein kurzer, geschmeidig erzählter Roman über große Erwartungen und ein grausames Herz.
Bye-bye Menschheit: Gegenangriff von Nadja Niemeyer
Die Fauna hat die Schnauze von des Menschen Naturvernichtung und bläst zum Gegenangriff. Nadja Niemeyers Text kommt mit dem Paratext “Pamphlet”, ist aber eine dystopische Erzählung, eine gar nicht mal so unplausible Fiktion, in der es der Menschheit endlich an den Kragen geht. Ein amüsanter, ein aktueller, ein notwendiger Text.
Frühlingsgefühle: Geschichten von der Liebe von Anton Čechov
Diogenes bringt nach den Winter– und Sommergeschichten nun auch den Frühling im Werk des Russischen Meisters Anton Čechov heraus. Frühlingsgefühle vereint wie die zwei früheren Bände ebenfalls Erzählungen aus verschiedenen Schaffensperioden des Autors, die mehr oder weniger dezidiert von der Jahreszeit als auch den sprichwörtlichen Frühlingsgefühlen erzählen. Es ist eine unterhaltsame, abwechslungsreiche, aber nicht durchgängig erstklassige Sammlung.
Sinfonie des Schreckens: Die Jagd von Sasha Filipenko
Fiktion oder Wahrsagung? In Sasha Filipenkos aktuellem Roman Die Jagd begegnen dem Leser Umstände, die mit Russlands Einmarsch in die Ukraine schreckliche Realität geworden sind. Die Jagd ist aber nicht schon jetzt einer der interessantesten Romane des Jahres allein wegen des Inhalts, sprich der verblüffenden Nähe dieser Fiktion zur aktuellen geopolitischen Situation, sondern vor allem wegen seiner cleveren, bei allem Schrecken trotzdem unterhaltsamen Konstruktion.
Was uns durch die Nacht trägt: Toronto von Kenneth Bonert
“Was uns durch die Nacht trägt” ist der Untertitel zu Kenneth Bonerts hervorragendem Erzählband Toronto und er gibt viel Preis von der unterschwelligen Stimmung, die diese vier Texte beseelt. Neben Menschen, die in Begegnungen Veränderung finden und Halt suchen, ist die kosmopolitische Stadt Toronto der eigentliche Protagonist des Bandes. Es ist eine Stadt mit eisigen Wintern, bevölkert von Zugezogenen, die sich finden und verlieren.
Das Licht in der Dunkelheit: Junge mit schwarzem Hahn von Stefanie vor Schulte
Stefanie vor Schulte ist ein düsteres Märchen mit strahlend hellem Stern geglückt. Junge mit schwarzem Hahn ist eine Heldenreise durch ein nicht näher benanntes Land in einer nicht näher benannten Zeit. Feudale Strukturen lassen auf das Mittelalter schließen, der schwarze – sprechende – Hahn auf ein Sagenreich. Es ist zumindest eine dunkle, empathielose Zeit, Junge mit schwarzem Hahn eine Warnung, dass man durch Empathielosigkeit nicht zurückfallen möge in eine Gesellschaft, in der jeder nur das eigene Überleben sieht.
Das komatöse Land: Der ehemalige Sohn von Sasha Filipenko
Wir schreiben das Jahr 1999: Zisk ist ein ganz normaler Jugendlicher, der weniger Lust hat, Cello fürs Konservatorium zu lernen als mit seinen Freunden Fußball zu spielen und zu Konzerten zu gehen. Aber er wächst in einem nicht ganz normalen Land auf. Sasha Filipenkos Roman Der ehemalige Sohn nimmt uns mit in die belarussische Hauptstadt Minsk und zeichnet ein graues Bild eines totalitären Staates, in dem sich wenig bewegt. Man kann sogar zehn Jahre ins Koma fallen, ohne etwas zu verpassen.