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Im Grunde sind wir alle Monster: Ein heißes Jahr von Philippe Djian

Ein heißes Jahr von Philippe DjianWir schreiben das Jahr 2030. Gut zehn Jahre ist es her, dass das Mädchen mit den Zöpfen die Klimarevolution lostreten wollte. Es ist trotzdem alles den Bach runtergegangen; in Schweden baut man inzwischen Wein an. Im Sommer regnet es kaum, dafür dann unaufhörlich, wenn es einmal losgeht. Greg, Hauptfigur in Ein heißes Jahr des Franzosen Philippe Djian, zählt zu den Männern, die an der Misere teilhaben, denn er arbeitet für ein Labor, das Untersuchungsergebnisse für den Hersteller eines potenziell tödlichen Pestizids herstellt. Die Begegnung mit einer Aktivistin bringt seine Welt aus dem Gleichgewicht.

Die Erde ist beschädigt, Greg ist es auch. Erst verlor er seinen Sohn, dann die Frau. In der Arbeit ziehen dunkle Wolken auf: Die Behörden ermitteln, mit den Analysen des Labors zu einem Pestizid stimmt etwas nicht. Anton, Gregs Chef sowie der Mann seiner Schwester Sylvia, will verdunkeln. Anton ist auch Gregs bester Freund. In der Familie hängt der Haussegen schief: Denn Aude, die älteste Tochter, sitzt seit einem mysteriösen Vorfall im Rollstuhl. Die jüngere Schwester Lucie hat “das Mädchen mit den Zöpfen” zum Vorbild und will sich engagieren. Engagiert ist auch Greg für seine Nichten. Als er Lucie zu einer Lesung begleitet, begegnet er Véra – und ist gefangen von der Frau.

Greg und Véra stehen gewissermaßen auf unterschiedlichen Seiten – sie die Buchhändlerin und Klimaaktivistin, er der wohlhabende Mitarbeiter eines korrupten Labors. Doch da ist eine Anziehung, die beide zur Freundschaft umzudeuten versuchen. Sie versuchen dies in einer angespannten Lage: Es gibt gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen Klimaaktivisten und Klimaleugnern, Greg hadert mit seiner Mitschuld, als ein Mensch durch das Pestizid stirbt, und dann ist da noch die mürrische Aude und die engagierte Lucie, um die er sich sorgt.

Philippe Djian denkt unsere Gesellschaft in Ein heißes Jahr zehn Jahre in die Zukunft (der Roman erschien im Original erstmals 2020). Die Wetterlagen, die er beschreibt, scheinen realistisch, ähnlich die erbitterten Kämpfe der unterschiedlichen Lager. Doch der Roman ist mehr als eine düstere Zukunftsprognose, er ist auch das Psychogramm einer dysfunktionalen Liebe und eines gebrochenen Mannes. Es ist ein Roman über einen Neuanfang und die Frage, ob es dafür – privat wie gesellschaftlich – vielleicht auch zu spät sein kann. Djian erzählt dieses heiße Jahr mit einem allwissenden Erzähler, der zwischen den Figuren hin und her wechselt, zusammengehalten durch ihr Verhältnis zu Greg. Manchmal wünscht man sich als Lesender dieses durchgängig erzählten Textes eine Unterteilung in Kapitel, vor allem wenn er von einem Absatz zum nächsten das Personal wechselt und einige Zeit in die Zukunft springt. Dies ist dann aber auch schon das einzige Manko an diesem Roman, der aufgrund seiner Figurenkonstellation auch wunderbar als dramatisches Stück funktionieren würde. In diesem Fall wäre Ein heißes Jahr eine Tragödie, scharf gezeichnet, gut durchdacht und dramaturgisch versiert bis zum letzten Satz.

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Ein heißes Jahr von Philippe Djian ist bei Diogenes erschienen.

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