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Bye-bye Menschheit: Gegenangriff von Nadja Niemeyer

Gegenangriff von Nadja NiemeyerDie Fauna hat die Schnauze von des Menschen Naturvernichtung und bläst zum Gegenangriff. Nadja Niemeyers Text kommt mit dem Paratext “Pamphlet”, ist aber eine dystopische Erzählung, eine gar nicht mal so unplausible Fiktion, in der es der Menschheit endlich an den Kragen geht. Ein amüsanter, ein aktueller, ein notwendiger Text.

Nadja Niemeyer ist ein Pseudonym, das die Autorin wählte, “um nicht an Debatten teilnehmen zu müssen”. Man versteht das: Die Menschheit ist inzwischen so unfähig zum Diskurs, dass man auf Diskussionen doch gar keinen Bock mehr hat. Und dieses Kein-Bock auf die unendliche Dummheit der Menschen ist wahrscheinlich auch die treibende Kraft hinter Gegenangriff.

Der Mensch in seinem Hang zur Selbstzerstörung, in seiner Neugier wider besseren Wissens, hat an seinem eigenen Untergang selbstverständlich Mitschuld: Ein Biotech-Unternehmen in den USA forscht 2034 zu Retroviren, die zu mentaler Retardierung führende Genmutationen heilen sollen. Kritische Stimmen werden ignoriert, das Virus entspringt dem Labor und auf andere Arten über und macht Tiere binnen kürzester Zeit intelligenter. Die begreifen schnell, wer sie ausnutzt, sie umbringt und ihnen die Lebensgrundlage entzieht. Gewissermaßen ist es also eine Pandemie, die uns den Garaus macht.

Schnell häufen sich Fälle, in denen die Tiere erst vereinzelt äußerst brutal zurückschlagen und dann artübergreifend koordinierte Aktionen starten, die das einzige Ziel haben, den homo sapiens von der Erde zu tilgen. Geschildert werden diese teils brutalen, teils ausgeklügelten Vorfälle in einem beinah süffisant kommentierenden, protokollierenden Stil. Die Sympathie der Autorin liegt hier klar beim Tierreich, dessen Rebellion – seien wir mal ehrlich – alles andere als ungerechtfertigt erscheint. Die Unfähigkeit und die Ignoranz der Menschheit, die sich eigentlich selbst auslöscht, gilt einer gewissen Häme. Dabei ist Gegenangriff nicht nur als ein Pamphlet für einen besseren Umgang mit der natürlichen Welt zu verstehen, sondern eben auch ein Spiegel dessen, was mit der Menschheit und ihrer vermeintlichen Intelligenz heute im Argen liegt. Der Mensch setzt sie nämlich nicht zum Wohl aller Lebewesen ein, nicht einmal zum Wohl der eigenen Spezies, sondern in der Regel zum eigenen Vorteil. Der Mensch ist rechthaberisch – auf Gedeih und Verderb -, lautet die pessimistische Diagnose dieses Buches:

Das Primat des Siegen-Müssens galt auch für jene Individuen, die sich selbst für altruistisch oder sogar opfermütig hielten und fest davon überzeugt waren, dieser Eigendefinition auch zu entsprechen. Bei ihnen äußerte sich derselbe Antrieb einfach in einer anderen Form, ohne dass ihnen das selbst jemals bewusst gewesen wäre. Individuen dieser gar nicht so seltenen Subspezies bemühten sich ihr Leben lang, altruistischer und opfermütiger zu sein als andere und dadurch als die besseren Weltverbesserer wahrgenommen zu werden, am liebsten von der gesamten Menschheit oder, wenn so eine generelle Akklamation nicht zu erreichen war, auch nur von sich selbst (42).

Wer denkt da nicht an Twitter samt seiner Empörung-Ökonomie sowie an dessen baldigen neuen Eigentümers? Wahrscheinlich sind es Passagen wie die eben zitierte, die die Autorin dazu veranlasste, Gegenangriff unter Pseudonym zu veröffentlichen. Es ist nur konsequent: Wer will schon irgendwelche Debatten mit solchen Leuten führen?

Gegenangriff ist erschreckend, faszinierend, gut durchdacht und höchst amüsant zugleich. Ein unbedingt notwendiges Buch!

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Gegenangriff ist bei Diogenes erschienen.

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