Ein Sounddesign mit hohem Wiedererkennungswert ist schon mal die halbe Miete. Der Produzent Sa Pa ist unverwechselbar: Ein verrauschtes, knisterndes, basslastiges Klanggebräu aus Field Recordings, deren Ursprung kaum herauszuhören ist, ist allen Veröffentlichungen zueigen. Verwechslungsgefahr besteht höchsten zu eigenen Werken: Die neueste EP Borders of the Sun bringt zusammen, was man so ähnlich schon auf seinen ersten beiden LPs gehört hat.
Das Wenige, das noch bleibt: Zensus von Jesse Ball
Ein Roadtrip der etwas anderen Art. In Jesse Balls eigentümlichem Roman Zensus geht ein Vater mit seinem inzwischen erwachsenen, mit Down-Syndrom lebenden Sohn, auf eine letzte große Reise. Episodenhaft und etwas beklommen fahren die zwei durch ein unbenanntes Land, um den Zensus durchzuführen und doch sich selbst zu vermessen.
Out Of Place Artefacts II von Vril & Rødhåd
Out Of Place Artefacts sind Objekte, die in einem ungewöhnlichen Kontext gefunden werden. Ihnen wohnt also etwas Rätselhaftes, Mystisches inne – als würde man einen iPod in einer antiken Ausgrabungsstätte finden. Aus diesem konzeptionellen Überbau haben die beiden Produzenten Vril und Rødhåd 2020 ein gemeinsames Projekt geschaffen, das ihre Fähigkeiten zu einer perfekten Symbiose verschmilzt und nun seine Fortsetzung findet. Und anders als man es von Filmen kennt – eine gewisse Sci-Fi Ästhetik wohnt auch Out Of Place Artefacts II inne – ist die Fortsetzung tatsächlich noch ein Stück besser als der bereits überaus stimmige Vorgänger.
Ein Tänzchen wagen: So oder so von map.ache
Aus Sommer wird Herbst: Das ist nicht nur die banale Abfolge der Jahreszeiten, sondern auch die Verzögerung, mit der Vinyl-Veröffentlichungen auf sich warten lassen. Ob es bei So oder so von map.ache auf dem Weimarer Label Giegling an der allgemeinen Rohstoffkrise oder Bummelei liegt, vermag man nicht zu sagen. Fest steht: Die EP So oder so hat die häusliche Bequemlichkeit von map.aches vorzüglicher letzter LP hinter sich gelassen und zeigt in eine Zeit, in der man wieder tanzen darf.
No happy Vibes: Lento Violento von Maria Muhar
Das 90er Jahre Revival dauert an: Die Wiederkehr vergangener Trends lässt vermuten, wir befinden uns in einem Loop. Symptomatisch dafür ist natürlich elektronische Musik, die ganz zentral auf Wiederholung fußt. Maria Muhars Roman Lento Violento ist gleich nach einer Stilrichtung der Zeit benannt, spielt aber im Österreich der Ibiza-Affäre. Alex, Protagonistin des Texts, ist besessen von Eurodance, hat aber ziemlich wenig Spaß. Ohnehin: Lento Violento ist ein Text, der sich aus Zitaten der Zeit zusammensetzt, aber nichts von ihrer Ekstase birgt.
Berlin, gegenwärtig: Der Hausmann von Wlada Kolosowa
Abwechslungsreicher kann ein Buch kaum sein: Wlada Kolosowas Der Hausmann ist multiperspektivisch erzählt, vereint Prosa mit Graphic Novel und entführt den Leser in das Berlin abseits des S-Bahn-Rings. Hier findet sich Tim, der titelgebende Hausmann, mit seiner Freundin Thea wieder, nachdem sie aus der Wohnung am Maybachufer gentrifiziert wurden. Es ist ein abwechslungsreicher, unterhaltsamer Text nah am Puls der Zeit.
Menschliches Material: Zeremonie des Lebens von Sayaka Murata
Pullover aus Menschenhaar, Happy Future Food, Trauerfeiern, die in kannibalistischen Orgien münden: Sayaka Muratas Zeremonie des Lebens ist ein bemerkenswerter Erzählband, der vor allem durch inhaltliche Originalität zu überzeugen weiß. Die Japanerin erzählt mit verblüffender Selbstverständlichkeit von einer teils ungeheuerlichen nahen Zukunft (oder alternativen Realität?) und lässt den Leser die Sitten hinterfragen, in denen er lebt.
Koordinaten einer Familie: Erbgut von Bettina Scheiflinger
Der moderne Mensch ist kontinuierlich damit beschäftigt, sich selbst zu finden. Die Ich-Erzählerin in Bettina Scheiflingers Debütroman Erbgut sucht die Selbstverortung in der bewegten Geschichte ihrer Familie. Fragmentarisch und doch mit Weitwinkelobjektiv entsteht Seite für Seite ein Portrait, das mehr abbildet, als die eigene Sippe.
Wirklichkeiten: Die Gemochten von Lydia Mischkulnig
Lydia Mischkulnigs bei Leykam erschienener Erzählband Die Gemochten versammelt dreizehn wortgewandte, idiosynkratische Texte, die vor klugen Ideen strotzen, sich manchmal aber etwas zu verschlossen geben. Es ist ein überwiegend gelungener Band, dem man am besten häppchenweise begegnet.
Dunkle Zeiten: Lapvona von Ottessa Moshfegh
Die Gebrüder Grimm würden sich gruseln: Ottessa Moshfeghs vierter Roman Lapvona ist ein düsteres Mittelaltermärchen, in der die Unschuld einen schlechten Stand hat, Erlösung herbeigesehnt, aber nicht beizukommen ist. Dreh- und Angelpunkt ist dabei der Junge Marek, der – missgebildet und ungeliebt -, einen ganz und gar unvorhersehbaren Aufstieg erlebt, aber als Held genauso wenig taugt, wie die abscheulichen Menschen um ihn herum.