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Lebendig begraben: Mein drittes Leben von Daniela Krien

Mein drittes Leben von Daniela Krien“Nichts ist gut, absolut nichts” (S. 192) möchte Linda einem Kellner entgegenzischen, als dieser diese schlimmsten aller Fragen stellt: “Alles gut?” Wann ist schon einmal alles, wirklich alles gut? Im Fall von Linda ist alles sogar ziemlich schlecht. Daniela Kriens neuer Roman Mein drittes Leben ist ein Testament an die Unzugänglichkeit der Trauer und Verzweiflung anderer Menschen. Er ist das Portrait eines schwierigen, langwierigen Heilungsprozesses, an dessen Ende wenigstens ein Schimmer Hoffnung glimmt.

Im Leben von Linda sind viele Dinge richtig gut gelaufen. Ja, ihren biologischen Vater kennt sie nicht. Als sich die Mutter nach der Wende einem wohlhabenden Westdeutschen andiente, frakturierte das die Mutter-Kind-Beziehung. Gleichwohl öffnete das zweite Leben ihrer Mutter Linda auch jede Menge Möglichkeiten, die ihren ehemaligen Klassenkameradinnen im Osten verschlossen blieben. Gut ausgebildet ist sie freischaffende Kuratorin, verheiratet mit einem Maler und Mutter einer Teenagerin.

Dieses Bilderbuchleben ist bereits zerbrochen, als Mein drittes Leben beginnt. Die geliebte Tochter wurde von einem Lkw erfasst und starb. Im Anschluss an diese Tragödie wird bei Linda Kehlkopfkrebs diagnostiziert, den sie übersteht. Was diese Tragödien nicht übersteht, scheint die Ehe zu Richard zu sein, der sich zwar liebevoll um Linda kümmert, sie aber für diese Fürsorge nicht mehr empfänglich ist. Sie schließt sich ab. Sie hat den Krebs zwar besiegt, aber wäre ihm wohl lieber erlegen. Denn die Verzweiflung über den Verlust der Tochter ebbt nicht ab.

“Keiner hat mir den Umgang mit Schicksal beigebracht. Ich bin eine Frau ohne Kind, ohne Mann, ohne Angst und ohne Zukunft, und ich laufe, so schnell ich kann, zum Hof zurück, verrammle das Tor und verkrieche mich wieder in meiner Höhle” (S. 93).

Während der Krebstherapie lernt Linda eine ältere Frau aus einem nordsächsischen Dorf kennen. Nach deren Tod zieht sie auf ihren Dreiseitenhof, übernimmt die Hühner und die Hündin. In diesem Exil bricht sie fast jede Verbindung zu ihrem einstigen Leben in Leipzig ab. Lediglich Richard besucht sie regelmäßig, will an der Ehe festhalten, ohne in der Tragödie des Todes der Tochter für immer zu erstarren. Linda scheint dafür nicht bereit.

Daniela Krien lässt Linda ihre Geschichte in einem nüchternen, sprachlich präzise ausformulierten Ton erzählen, der durchaus passt zu der hoch gebildeten, aber mit allerhand Tabletten einigermaßen ruhig gestellten Person. Mein drittes Leben ist ein Text darüber, wie Trauer einen Menschen verschließen, fast völlig konsumieren kann. Es ist aber auch ein Text, der sich aktuellen gesellschaftlichen Diskursen gegenüber nicht verschließt. Linda hält sich zwar am Leben, ohne am gesellschaftlichen Leben teilnehmen zu wollen, aber immer wieder dringt es in ihre Festung der Einsamkeit. Und so finden sich unter anderen diskursive Anschlusspunkte zur Verödung des ländlichen Raums in den neuen Bundesländern oder zum Thema Pflege.

Mein drittes Leben ist kein leicht zu lesender Text. Er zwingt Leser, durch den pechschwarzen Morast Lindas verzweifelter Trauer, findet wunderbare Momente der Reflektion, die immer wieder innehalten lassen und lässt gelegentlich etwas Licht durch ihre Dunkelheit glimmen. Es ist ein wunderbar stimmig erzählter Text, der völlig zurecht auf der Longlist des Buchpreises steht. Uneingeschränkte Empfehlung!

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Mein drittes Leben von Daniela Krien ist bei Diogenes erschienen.

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