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So ein Bewusstsein braucht ja einen Körper: Phytopia Plus von Zara Zerbe

Phytopia PlusOb es eine gute Idee ist, sich das Bewusstsein in eine Pflanze transplantieren zu lassen, wenn die Lebensbedingungen auf der Erde für so ziemlich jedes Lebewesen nach der Klimakatastrophe schwierig sind? Die Drosera AG bietet ein solches, Phytopia Plus genanntes Verfahren an und scheffelt viel Geld. Für den Mindestlohn arbeitet Aylin dort als Pflanzenpflegerin. Sie hat aber auch noch ein Nebengeschäft, das ihr alsbald Probleme bringt.

Zara Zerbes fantasievolle Dystopie Phytopia Plus spielt in einer nicht weit entfernten Zukunft in Hamburg. Die Lebensbedingungen sind schlecht: Artensterben, Dürreperioden und Hitze haben die Gesellschaft auseinandergetrieben. Die einen leben in Gated Communities und gehen in den Biomarkt, die anderen stehen vor leeren Regalen, müssen auf hochverarbeitete Lebensmittel zurückgreifen. Pflanzen sind eine Art Luxusgut geworden. Und Aylin hat einen grünen Daumen – wie auch ihr Großvater. Sie arbeitet als Hilfskraft bei der Drosera AG, bei der man für 350.000 Euro sein Bewusstsein speichern und nach dem Tod in eine Pflanze transferieren lassen kann. Klingt etwas abwegig, und viele der Figuren in Phytopia Plus sind skeptisch. Doch ein anderes Versprechen auf ewiges Leben gibt es in dieser Zukunft noch nicht.

Für Aylin ist ein solches Verfahren ohnehin außer Reichweite. Aufgrund der kollabierenden Wirtschaftssysteme haben Unternehmen praktisch mehr Gewalt als der Staat. Selbst der Mindestlohn ist gefallen. Und so muss Aylin als billige Arbeitskraft die Pflanzen pflegen, auf denen das Gedächtnis oder Bewusstsein (beides bedingt einander – aber sind sie synonym?) der Wohlhabenden gespeichert ist. Ihre Aufgaben bekommt sie von der KI Bella diktiert. Eine Maschine hat hier also die Gewalt über Menschen – zumindest jenen im Niedriglohnsektor.

Da das Geld knapp ist und Aylin sehr an ihrem Großvater hängt, diesen gerne auch speichern lassen würde, beginnt sie ein Nebengeschäft. Sie macht Setzlinge von eigenen Pflanzen und jenen, die sie in der Drosera AG pflegt. Für besondere Zierpflanzen zahlen die Menschen aus den Gated Communities gutes Geld. Gleichsam begibt sie sich natürlich auf einen schwierigen Pfad – streng genommen begeht sie Diebstahl. Und: Was ist eigentlich mit den gespeicherten Personen auf den Setzlingen?

Phytopia Plus ist ein sehr flüssig erzählter Text mit interessanter Prämisse. Die Dystopien schießen aktuell wie Pilze aus dem Boden – wen wundert’s, ob der aktuellen Weltlage? – und Zerbe ist eine der stärkeren gelungen. Sie versucht gar nicht erst, die Speichermethode dem Leser wissenschaftlich plausibel zu machen (sie macht daraus gewissermaßen einen Running Gag). Wie ihre Protagonistin gehen wir mit gefährlichem Halbwissen durch diese nahe Zukunft. Das Anliegen ist ohnehin ein anderes: Welche Konsequenzen hat der Klimawandel auf die Gesellschaft, das alltägliche Leben und, vor allem, Arbeit? Hier zeichnet sie ein Bild einer weiter auseinander klaffenden Schere zwischen Arm und Reich und einer Ablösung politischer Prozesse durch wirtschaftliche Interessen. Alle Macht geht vom Business aus, gewissermaßen.

Darüber hinaus bietet sich der transhumanistische Aspekt natürlich wunderbar an, um über Dinge wie Bewusstsein und ob es woanders als in unseren Hirnen gespeichert werden kann zu spekulieren. Gelungen!

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Phytopia Plus von Zara Zerbe ist beim Verbrecher Verlag erschienen.

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