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Ihr Leben, ein tägliches Scheitern: Schrödingers Grrrl von Marlen Hobrack

Schrödingers GrrrlMara Wolf ist Anfang 20, lebt in Dresden und ist arbeitslos. Ihre Zeit verbringt sie mit Online Shopping. Was sie kauft, präsentiert sie als Schrödingers Grrrl bei Instagram, in der Hoffnung, es vielleicht als Influencer zu schaffen. Meistens bleibt sie aber depressiv im Bett liegen und überlegt sich, wie ihr das Harz IV nicht gekürzt wird. Bis sich eine Chance auftut, doch noch berühmt zu werden. Marlen Hobracks Debütroman ist ein Text über eine junge Frau mit nicht wirklich vielen Eigenschaften, der Text ist als Ganzes interessanter als auf seinen einzelnen Seiten.

Wie in Treibsand fühlt sich Mara. Im Briefkasten drängen sich Mahnungen aneinander, zusammen mit Aufforderungen der Arbeitsagentur. Wirklich viel Positives gibt es in ihrem Leben nicht. Es ist ein unproduktives, lethargisches Leben, das sich im Vielleicht-vielleicht nicht von Erwin Schrödinger Gedankenexperiment suhlt. Sie traut sich nicht, die Box zu öffnen, um zu schauen, wie es wirklich um die Katze steht.

Das erste Drittel von Schrödingers Grrrl liest sich zwar nicht zäh – dafür ist der Text zu süffig erzählt – aber auch nicht sonderlich interessant. Die Depression, die Mara für ihr unerfülltes und, in Bezug auf den Arbeitsmarkt, unproduktives Leben anführt, wird nur vage ausgeleuchtet. Sie drückt sich vor dem Arbeitsmarkt, sie drückt sich davor, ihre innere Blockade offenzulegen und auszuräumen. Stattdessen bekommt der Leser inkonsequente Tagträumereien über Insta Fame und die Fallstricke von Social Media zu lesen, die man, sofern man die letzten zehn Jahre nicht unter einem Stein verbracht hat, schon andernorts gelesen hat. Dass Hobrack leitmotivisch mehrfach auf das wohl abgegriffendste Gedankenexperiment der Physik, unendlich verwurstet in Pop- und Hochkultur, zurückgreift, macht den Text natürlich nicht origineller (zumindest gibt es hier eine zweite Ebene, denn Mara hat selbst einen Kater, um den sie sich in ihrer Nabelschau selbstredend kaum kümmert).

Doch just als man dabei ist, den Roman als netten Versuch abzutun, wegzulegen und zu vergessen, als hätte man dessen Deckel nie geöffnet, zeigt Schrödingers Grrrl dann doch noch Leben. Zufällig lernt Mara in einer Bar den Berliner PR-Agenten Hanno kennen. Der ist angetan von ihrer defätistischen Haltung oder ihrem Look. Was sie später, nach einer ziemlich demütigenden Party in Berlin erfährt, ist, dass Hanno ihr Gesicht und ihre Biografie braucht, um den Roman eines alten weißen Literaten zu vermarkten. Die zwei Männer wollen den Literaturbetrieb foppen und den Text des Mannes als den Maras ausgeben. Schließlich: The future is female, wie es an einer Stelle heißt. Blutjunge, hübsche Autorinnen verkaufen heute einfach mehr Bücher als alte weiße Männer, die nur anhand ihrer negativen Eigenschaften interessant sind. Ein älterer Mann, der einen Roman aus Sicht einer jungen Frau schreibt – das darf man ja eigentlich nicht mehr. Man vermutet, dass die Autoren diesem neuen Diskurs (richtigerweise) nicht folgen mag – andernfalls würde die Satire hier ins Leere plumpsen.

Zeitgleich nimmt Mara eine Therapie auf und verliebt sich in einen jungen m Dresden besuchenden Engländer, den sie während eines Wochenendes kennenlernt. Die Romanze lebt vornehmlich in digitalen (Sex-)Chats fort. Plötzlich, etwa bei der Hälfte dieses Romans, wurde die Baustelle Arbeitslosigkeit also durch den Literaturbetrieb, Psychotherapie und eine digitale Romanze ausgetauscht – dem Text tut dies außerordentlich gut, denn die Langeweile und Stasis der ersten Seiten weicht interessanten Handlungssträngen, die Schrödingers Grrrl mehr Tempo geben.

Schrödingers Grrrl beackert auf seinen etwas mehr als 250 Seiten also sehr gegenwärtige, spannende, sich berührende Themenfelder und in seiner Gesamtheit gibt der Roman ein gutes Stimmungsbild davon, wo wir heute – Corona und Krieg ausgeblendet – gesellschaftlich sind. Mara erscheint als Nicht-Subjekt gefangen in der Aufmerksamkeits-Ökonomie unserer Zeit. Das hat zuweilen etwas von Descartes: „Pics or it didn’t happen” (13) ist das Motto. Und wie soll man nicht deprimiert werden anhand eines indifferenten Arbeitsmarktes, wenn oberflächliche Posen und falsche Tatsachen eventuell saftigere Früchte tragen könnten?

Dennoch: Trotz interessanter Ansätze, die uns Marlen Hobrack hier anbietet, schummeln sich ein paar Klischees zu viel in den Text und es fehlt bei der Bearbeitung der Themen etwas die Tiefe.

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Schrödingers Grrrl ist beim Verbrecher Verlag erschienen.

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