Allgemein,  Kritik,  Literatur

Diese klaffende Wunde: Zwischen den Sommern von Alexa Hennig von Lange

Zwischen den SommernAlexa Hennig von Lange schreibt mit Zwischen den Sommern ihre am Leben ihrer Großmutter angelehnte “Heimkehr-Trilogie” fort, die mit Die karierten Mädchen letztes Jahr ihren Anfang nahm. Der erste Band spielte überwiegend in den 1930er Jahren und begleitete die Hauptfigur Klara bei ihrem beruflichen Aufstieg zur Leiterin einer nationalsozialistischen Erziehungsanstalt, während sie gleichzeitig ein jüdisches Findelkind großzog. In Zwischen den Sommern ist das Mädchen Tolla weg und der Krieg da. Fragen nach Verantwortung und Schuld drängen in der Protagonistin – und ihrer Enkelin.

Wie Die karierten Mädchen spielt Zwischen den Sommern auf zwei Zeitebenen: Einer erzählten Gegenwart sowie der Vergangenheit. Im ersten Teil bespricht die erblindete, über 90-Jährige Kassetten mit ihren Lebenserinnerungen. Gleich zu Beginn dieses Romans wagt Klara einen Ausflug in den Garten, der durch einen Telefonanruf ihrer Tochter, die sie mit Leerkassetten versorgt, unterbrochen wird. In Zwischen den Sommern schafft sie es tatsächlich vor die Tür, wird von einem Sturm überrascht und stirbt. Gefunden wird sie von ihrer Enkelin Isabell, die inzwischen in der Nähe wohnt und in der erzählten Gegenwart als Protagonistin fungiert und einen neuen Fokus in die übergeordnete Erzählung bringt: Die angehende Schriftstellerin entdeckt die Kassetten und verliert sich in den Erinnerungen der Großmutter und stellt Fragen, die die unmittelbar auf den Krieg folgende Generation – beispielhaft Isabells Mutter – nicht stellte: Wie involviert waren die eigenen Familienangehörigen in die Maschinerie des Nationalsozialismus?

Solange man für sich wusste, was echt und was Rolle war, stimmte der innere Kompass noch. Oder nicht? (59).

Zwischen den Sommern schildert sodann anhand Klaras Lebenserinnerungen deren inneren Kampf mit Fragen nach Schuld und Verantwortung: Zum Ende von Die karierten Mädchen gab diese das jüdische Mädchen, das sie wie eine Mutter großzog, in ein Berliner Kinderheim, in der Hoffnung, dass es außer Landes nach Großbritannien und somit in Sicherheit gebracht würde. Zur gleichen Zeit ist Klara, die inzwischen die nationalsozialistische Erziehungsanstalt in Sandersleben leitet, eine Familie mit Gustav, der in den Wehrdienst gerufen wird. Eine Belastungsprobe: Einerseits zerfrisst Klara die ungewisse Lage ihrer weggegebenen Tochter. Andererseits ist sie beruflich und familiär stark eingebunden und muss sich sorgen, ob ihr Mann aus dem Krieg zurückkehren wird. Es wird immer offensichtlicher, dass das nationalsozialistische Regime, mit dem sich Klara gut stellen muss, das Land in den Abgrund führt.

Zwischen den Sommern nimmt die Fäden des ersten Bandes auf und spitzt die moralischen Fragen, die sich aus der stummen Ablehnung bei gleichzeitiger Teilhabe am nationalsozialistischen System ergeben, weiter zu, ohne einfache Antworten zu geben.

*

Zwischen den Sommern ist bei Dumont erschienen.

Dieser Blog ist frei von Werbung und Trackern. Wenn dir das und der Inhalt gefallen, kannst du mir hier gern einen Kaffee spendieren: Kaffee ausgeben.