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Mythen und Menschen: Weil da war was im Wasser von Luca Kieser

Weil da war was im Wasser von Luca KieserKürzlich ließ Henry Hoke in seinem hervorragenden Roman Open Throat eine in Hollywood gestrandete Großkatze über ihr Leben erzählen. Luca Kieser hatte eine im Ansatz ähnliche Idee: In Weil da war was im Wasser erspinnen die acht Arme eines Riesenkalmars eine matafiktionale, Zeit und Raum überbrückende Erzählung. Doch hier hören die Gemeinsamkeiten zwischen diesen Texten bereits auf: Trifft Hokes Erzählung in ihrer Schlichtheit Herz und Hirn des Lesers, bedient sich Kieser an allen Registern der postmodernen Literatur.

Unser junger Autor fragte sich, ob es überhaupt möglich war, aus der Perspektive eines solchen Tiers zu schreiben, ob es überhaupt ging, aus der Perspektive irgendeines Tiers zu schreiben. Er befürchtete es, zu vermenschlichen (242).

Weil da war was im Wasser erinnert etwas an eine Text gewordene Matroschka: Aus jeder Geschichte erwächst eine weitere. Doch während eine Matroschka von groß zu klein immerhin noch etwas Lineares hat, schlägt Luca Kieser Haken in alle Richtungen. Eine stringente Handlung herausschälen, ist schlicht nicht möglich. Denn die acht Arme des Kalmars, die hier als Erzähler fungieren, unterbrechen sich regelmäßig und verweisen in Fußnoten auf andere Kapitel des Textes. Auch ohne zwischen den Kapiteln hin und her zu springen, wie es die Fußnoten dem Leser gelegentlich nahelegen (oder auch ganze Abschnitte einfach auszulassen), ist die Erzählung stets im Fluss – und zwar in alle denkbaren Richtungen.

Der Versuch eines kurzen Abrisses: Zuallererst begegnet der Leser dem Riesenkalmar im Wasser, der am Boden der Tiefsee fasziniert ein Glasfaserkabel ertastet, das die Kontinente der Erde digital miteinander verbindet. Er taucht durch Krillschwärme hindurch, begegnet einem Artgenossen, der von Krillfischern in der Antarktis gefangen wird. Ab diesem Moment spielt dieser Text immer öfter über dem Wasser: Auf Deck des Trawlers macht Sanja Sanz ein Praktikum. Ausgehend von ihr beginnt der Text, durch die Zeit springend ihren mit der Seefahrt eng verbundenen, ins 19. Jahrhundert reichenden Familienstammbaum nachzuerzählen. Den Stammbaum findet der Leser am Ende des Textes als grafische Übersicht, ebenso wie Sanjas Tagebuch.

Ein Riesenkalmar, der die Weltmeere durchschwimmt und eine die Jahrhunderte umspannende Familiengeschichte: Das ist viel Stoff. Aber dabei bleibt es nicht. Weil da war was im Wasser nimmt sich noch die Zeit für ein paar Schlenker, erzählt zwischendurch beispielsweise die Hintergrundgeschichte zur Romanvorlage von Der weiße Hai und landet schließlich beim Autor selbst und dessen Penis.

Verspielt, ambitioniert, und etwas überdreht: Nicht alle Teile dieses Mosaiks fügen sich zusammen – als wären da ein paar Steinchen zu viel. Aber: Weil da war was im Wasser ist fraglos einer der originellsten Romane der Saison. Es ist gewissermaßen auch ein Text mit ADHS, der dem Leser bei aller Faszination, die einige Teilgeschichten ausüben, im Umkehrschluss einiges an Konzentration abverlangt.

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Weil da war was im Wasser ist bei Picus erschienen.

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