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Nochmal neu beginnen: In den Wäldern der Biber von Franziska Fischer

In den Wäldern der Biber von Franziska FischerAlina ist 30 und muss ihr bisheriges Leben neu überdenken: Frisch von ihrem Freund getrennt, wegen dem sie nach Frankfurt gezogen war, findet sie sich jetzt in Spechthausen wieder, in den Wäldern der Biber. Hier sucht sie, ohne Arbeit und Dach, Unterschlupf bei ihrem lange entfremdeten Großvater.

In den Wäldern der Biber von Franziska Fischer ist ein Buch der Ruhe. Die Autorin, selten um schöne Sätze verlegen, öffnet ihren Roman mit Worten, die dessen Handlung und Atmosphäre greifen:

Die Grenze zwischen Erinnerung und Zukunft ist nur ein Netz aus ungefühlter Zeit, das immer dünner wird (7).

Alina, aus deren Perspektive erzählt wird, ist sich nicht sicher, woher dieser Satz kommt. Eine Google-Recherche bringt keine weiteren Hinweise, es ist wohl ein Original ihrer Erschafferin, Franziska Fischer. Er schwebt zumindest programmatisch über diesem Text, der sich im Kopf des Lesers in einem wohligen Moll-Sound entblättert. Gärten werden hier von der Abendsonne mit einem “warmen Gelborange” übergossen (17). Herumwildernde Blumen, rankende Brombeersträucher, Hühner mit dem Namen Martha: Man bekommt Landlust bei diesen Sätzen. Zuweilen gerät der Roman zwar arg deskriptiv, da die Erzählerin jedes Detail festhält und in schöne Sprache kleidet. Aber eigentlich ist das auch ganz passend: In den Wäldern der Biber ist ein Text der Orientierungslosigkeit und der Befindlichkeiten.

Dabei fehlte Alina ohnehin eine Richtung in die Zukunft: Die Beziehung zu ihrem Freund basierte zwar auf echten Empfindungen, fußte aber auf dem wackligen Fundament unterschiedlicher Lebenserwartungen. Ihr Leben war eigentlich ein Provisorium: Der Liebe wegen zog sie nach Frankfurt, kam da aber nie an. Ihr Job war stressig und hatte nichts mit ihrem Studium zu tun. Sie musste feststellen, dass sie keine echten Freunde in der Stadt hat, bei denen sie hätte bleiben können, nachdem ihr Freund sie aus der Wohnung warf. Nur so kann sie der Leser auf den ersten Seiten durch Spechthausen nach ihrem Großvater suchend finden: Sie wusste nicht, wohin.

Aus der Kurzschlussreaktion wird ein längeres Moratorium: Seit dem frühen Tod des Vaters hat sie den Großvater nicht mehr gesehen. Bei ihm verbrachte sie während ihrer Kindheit die Sommerferien. Die Mutter brach den Kontakt jedoch ab, als sie erneut heiratete. Die Entwurzelung liegt also schon länger zurück. Nicht nur der Großvater ist ein alter Bekannter, den sie neu kennenlernt. Auch Isabell, die in unmittelbarer Nachbarschaft wohnt, kennt sie von damals – auch wenn es Isabell ist, die sich erinnert. Wie abgeschnitten von diesem früheren Leben wirkt Alina. Die Erinnerungen kommen erst nach und nach. Und mit ihnen Fragen, beispielsweise an die Mutter und an sich selbst: Was will ich von diesem Leben?

In den Wäldern der Biber ist ein schöner, ruhiger Text des Innehaltens, des Abstandnehmens und Neubewertens, der gleichsam wenige Überraschungen bietet. Eine sich anbahnende Romanze hat der Leser lange vor der Erzählerin auf dem Schirm. Aber das muss man Franziska Fischer nicht unbedingt ankreiden und kann sich stattdessen an der Gewissheit erfreuen, dass zwischen der Erinnerung und der Zukunft meist ein neuer Anfang wohnt.

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In den Wäldern der Biber ist bei Dumont erschienen.

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