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Shinichi Atobe – From The Heart, It’s A Start, A Work Of Art [Kritik]

Shinichi Atobe - From The Heart, It's A Start, A Work Of Art 2Die Aura des Geheimnisvollen hält die Aufmerksamkeit der Menschen immer noch am besten: Der japanische Produzent Shinichi Atobe veröffentlichte 2001 eine einzelne EP und verschwand danach volle 13 Jahre im Nichts. Die Szene hat das Interesse aber nie verloren. Das jetzt erschienene, aus Archivmaterial zusammengestellte Album ist trotz leicht verstaubter Klangqualität die vielleicht frischeste Veröffentlichung des Sommers.

Shinichi Atobes erste EP Ship-Scope war die vorletzte Veröffentlichung, die jemals auf dem von vielen noch heute als Goldstandard des Dub-Techno angehimmelten Labels Chain Reaction. Die vier Tracks blieben vielen in Erinnerung, ganz besonders das verträumte „The Red Line“. So ging es auch dem Produzentenduo Demdike Stare, das sich ein Jahrzehnt nach Veröffentlichung auf Spurensuche begab und den enigmatischen Produzenten schließlich fand.

Wie sich herausstellte, hatte Shinichi Atobe seinerzeit mehr als vier Tracks produziert und saß auf einer Schatztruhe unveröffentlichten Materials, das wie „The Red Line“ oft wie eine hypnotische Mischung aus Dub Techno und minimalistischem House klingt. Das Ergebnis Demdike Stares Japanreise erschien 2014 unter dem Namen Butterfly Effect, dessen Kern der gleichnamige, fast 12 Minuten lange Track ist. Eine pulsierende Bassdrum wird von weißem Rauschen und einem simplen und doch infektiösen Piano-Loop überlagert. Hin und wieder tauchen ein paar knarzende Geräusche auf, eine synthetisch klingende Flöte setzt hier und da eine dezente Melodie ab. Mit diesen wenigen Mitteln gelingt es, den Hörer 12 Minuten lang festzuhalten. Die restlichen Tracks schwanken hingegen zwischen dröhnenden Soundexperimenten wie „Waste Land 2“ und Shinichi Atobes bis dato vielleicht tanzbarstem Song, dem verhältnismäßig beschwingten „Free Access Zone 2“. Auf Albumlänge ist Butterfly Effect ein durchwachsenes Hörerlebnis, das dennoch begeistert aufgenommen wurde.

Seitdem haben Demdike Stare auf ihrem Label DDS ein Re-Issue von Ship-Scope veröffentlicht, sowie zwei weitere Alben, World (2016) und vor kurzem From The Heart, It’s A Start, A Work Of Art. Von den drei veröffentlichten LPs bietet die „neue“ den konsistentesten Hörgenuss. Im Zentrum stehen die drei Tracks „First Plate 1-3“, die fünf im Jahr 2000 gepressten und nie veröffentlichten Dubplates entnommen wurden. Und wer hätte es gedacht: Auch elektronische Musik altert und reift. Die 17 Jahre seit der originalen Pressung haben ihre Spuren hinterlassen. Ein allgegenwärtiges Knistern begleitet die Songs, deren einzelne Sounds nicht so kristallin klingen, wie man es von neuen Produktionen erwartet. Die Bassdrum klingt zuweilen, als wäre sie unter Wasser aufgenommen. Das mindert natürlich nicht die Qualität der Musik als solche, es gibt ihr sogar einen zeitlosen Charme, der für elektronische Musik ja eher ungewöhnlich ist.

„First Plate 3“ ist der Track, der von den drein am meisten heraussticht. Ein ausgeprägtes Knistern und mit Hall-Effekten veränderte, schwummrige Synthesizer legen sich über einen Dub-Techno Beat für einen süßlich-melancholischen Effekt. Man denkt an das Nachhallen einer Party, wahrend man im Sonnenaufgang nachhause wankt.

„Regret“ ist mit fast zehn Minuten der längste Track und in vielerlei Hinsicht ein Beispiel für das, was Shinichi Atobes Produktionen auszeichnet. Es ist ein zutiefst unaufgeregter Sound, der mit nur wenigen Variationen arbeitet, die einem abgelenkten Hörer schnell entgehen. Hissende High-Hats und ein gedämpfter, aber voll klingender Bass bilden das rhythmische Gerüst, über das ein paar hell flimmernde Akkorde gelegt werden. Nach drei Minuten wird eine weitere dezente Synthie-Melodie eingeführt. Der Effekt ist ein warmer, leicht euphorischer Sound, der von einem später auftauchenden, ernst klingendem Klaviermotiv kontrastiert wird.

Es ist alles in allem ein leichter, unaufdringlicher, ja beinahe narkotisierender Sound, der während der Abendsonne zum Dösen auf dem Balkon einlädt. Gänzlich eingelullt wird man über die 40 Minuten Spieldauer aber nicht: In „The Test of Machine 1“ stolpern ungleichmäßige Drums vermischt mit Synthesizern und Glockenklängen aus den Boxen. „The Test of Machine 2“ kommt hingegen ohne Beat aus und wirbelt elastische Synthesizer-Sounds ineinander und gibt dem Hörer das Gefühl, mit großen Augen in einer Schneekugel zu stehen. Es ist genau diese Qualität, Emotionen und Bilder mit nur wenigen Mitteln zu erzeugen, die Shinichi Atobe besonders macht und seine Musik unabhängig ihrer Entstehungszeit funktionieren lässt.

Trackliste

  1. Regret
  2. First Plate 1
  3. First Plate 2
  4. The Test Of Machine 2
  5. Republic
  6. The Test Of Machine 1
  7. First Plate 3