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Alles nur geklaut? Yellowface von Rebecca F. Kuang

Yellowface von Rebecca F. KuangJuniper ist neidisch auf Athena: Während ihre einstige Yale-Kommilitonin der bildhübsche, asiatisch-amerikanische Darling des Literaturbetriebs ist, war Junipers autobiografischer Debütroman ein Rohrkrepierer. Doch dann, am Ende einer durchzechten Nacht, stirbt Athena und Juniper klaut ihr neuestes Manuskript. Anstatt es dem Nachlass zu übergeben, beansprucht sie den Text für sich – und landet einen Bestseller. Doch Zweifel kommen auf: Warum sollte eine weiße Amerikanerin einen Roman über chinesische Arbeiter während des Ersten Weltkriegs schreiben? Rebecca F. Kuangs Yellowface ist ein rasanter Literatur-Thriller über Autorenschaft, die sozialen Medien und die Frage, wer über wessen Leid schreiben darf.

Eigentlich verbindet Juniper Hayward nichts mit China, außer ihrer oberflächlichen Freundschaft zu Athena Liu. Argwöhnisch blickt sie auf ihren Erfolg, den sie in erster Linie dem zeitgenössischen Trend zu mehr Diversität und Repräsentation zuschreibt („Literarisches Wunderkind erzählt wichtige Geschichten des asiatisch-amerikanischen Erbes“, S. 11). Niemand interessiert sich für Cis-normative weiße Frauen in der Literatur, glaubt Juniper. Als ihr das Manuskript zu Athenas neuestem Roman Die letzte Front in den Schoß fällt, beansprucht sie es kurzerhand für sich . Es geht um chinesische Arbeiter, die während des Ersten Weltkriegs nach Europa rekrutiert wurden. Obwohl es eher unwahrscheinlich ist, dass sich eine junge weiße Amerikanerin dieses Stoffes annimmt, überarbeitet sie das Manuskript und bietet es ihrem Agenten an. Ein Verlag beißt an, gibt ihr einen sechsstelligen Vorschuss und einen neuen Namen: Juniper Song. Damit beteiligt sich der Verlag, der die Genese des Textes nicht weiter hinterfragt, mit diesem zweideutigen Nachnamen an der kulturellen Aneignung Junipers. Wieder und wieder sind Menschen erstaunt, wenn Junipers Nachname eben nicht auf asiatische Wurzeln verweist, sondern lediglich ihr zweiter Vorname ist.

Klar ist, Juniper ist bestenfalls Co-Autorin von Die letzte Front. Sie schiebt ihrem Verlag und der Öffentlichkeit ein Plagiat unter, verkauft sich als traumatisierte beste Freundin Athenas und hofft, damit durchzukommen. Sie genießt die Aufmerksamkeit, den Platz auf der Bestsellerliste, die Einladungen zu Tagungen und Lesungen – bis die Stimmung kippt. Denn in den sozialen Medien entbrennt schnell eine Hexenjagd: Hat Juniper das Recht, über chinesische Arbeiter zu schreiben? Hat Juniper diesen Text möglicherweise geklaut? Hat sie gar Athena umgebracht, um sich ihren Text anzueignen?

Darf eine Autorin über die Erfahrungen anderer ethnischer Gruppen schreiben? Da Rebecca F. Kuang Yellowface aus Sicht der weißen Juniper geschrieben hat, ist ihre Antwort möglicherweise ja. Wenn Juniper denn Die letzte Front tatsächlich auch selbst geschrieben hätte. So ist der Roman sowohl ein Plagiat als auch ein Akt kultureller Aneignung. In Kuangs höchst unterhaltsamen, vielschichtigen Thriller geht es um mehr: Yellowface ist im weitesten Sinne eine Satire über den kulturellen Moment hysterischer Polarisierung, in dem wir heute Leben und den Literaturbetrieb, für den Diversity in erster Linie ein finanzielles Anliegen ist. Damit hat ihr Text durchaus Ähnlichkeit mit Percival Everetts Erasure, der jüngst unter dem Titel Amerikanische Fiktion verfilmt wurde. Hier wird ein intellektueller, mäßig erfolgreicher schwarzer Schriftsteller zum Bestsellerautor, als er ein klischeebehafteten “schwarzen” Roman schreibt, mit dem er die Literaturbranche eigentlich verarschen wollte. So trägt white guilt durchaus dazu bei, rassistische Klischees weiterzuschreiben und praktischerweise weißen Verlegern zu noch mehr Geld zu verhelfen.

Der Umgang mit Diversität ist nicht der einzige Aspekt, den Kuang mit Yellowface bearbeitet. Es geht auch ganz allgemein um Autorenschaft. Denn auch wenn klar ist, dass sich Juniper freimütig am Genie ihrer teils verhassten Freundin bedient hat, so zeigt sich auch: Athena nahm ebenfalls die Erfahrungen anderer Menschen, um daraus ihre Kunst zu machen. Auch sie eignete sich die Geschichten von Juniper oder von Koreanern in ihren Texten an. Inwiefern gehören die Texte, die Autoren schreiben, wirklich ihnen – oder anders ausgedrückt: Können die Texte ihnen gehören, wenn sie die Erfahrungen anderer enthalten? Es ist eine Frage, über die sich sicher kontrovers streiten lässt – und gestritten – nein, gehetzt – wird in Yellowface ausgiebig. Denn das überwiegend auf sozialen Medien stattfindende Katz-und-Maus-Spiel zwischen Juniper und ihren Kritikern ist vor allem eins: hässlich. Damit ist Yellowface auch ein Text, der den überhitzten Debatten, die heute über soziale Medien oft anonym in der Öffentlichkeit ausgetragen werden, entgegensteht.

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Yellowface ist bei Eichborn erschienen.

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