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“Ich werde nie wieder ein Sklave sein”: James von Percival Everett

James von Percival EverettDer äußerst produktive Schriftsteller Percival Everett mausert sich zu einer herausragenden Stimme in der amerikanischen Literatur. Sein neuer Roman James zementiert diesen Status – schließlich korrespondiert er zu dem amerikanischen Roman schlechthin: Die Abenteuer des Huckleberry Finn von Mark Twain. Er erzählt diesen Schlüsselroman der amerikanischen Literatur aus der Perspektive des Sklaven Jim, der in Everetts Vision aber lieber James genannt werden möchte.

“Diese weißen Jungs, Huck und Tom, beobachteten mich. Sie spielten immer irgendein Phantasiespiel, in dem ich entweder ein Schurke oder ein Opfer war, auf jeden Fall aber ihr Spielzeug” (11).

Leser, die Twains Werk kennen, werden auch mit der äußeren Handlung von James vertraut sein, denn diese übernimmt Everett für seine Neuerzählung weitestgehend, nur werden die Ereignisse gänzlich aus der Perspektive von Jim/James erzählt. Diese Verschiebung der Perspektive ist natürlich der Kern dieser Erzählung, denn sie befreit den Sklaven Jim aus seiner Position als Objekt im Original und macht ihn zum handelnden Subjekt James. Mark Twain selbst war Kritiker der Sklaverei und seine Romane sind eine satirische Auseinandersetzung mit den Sitten der Südstaaten zu jener Zeit. In James werden die miteinander verbundenen Themen Sklaverei, Rassismus und das amerikanische Versprechen auf Freiheit durch die neue Perspektive noch schärfer in den Fokus gerückt. Jim erfährt zu Beginn der Handlung, dass er nach New Orleans verkauft und somit von seiner Familie entfernt werden soll. Daher flieht er, um später seine Familie freizukaufen. Bei seiner Flucht trifft er immer wieder auf Huck und andere Figuren – es ist eine Odyssee entlang des Mississippi, die, wie in Twains Original, voll Lokalkolorit, Witz und Spannung ist.

James ist aber mehr als eine bloße Nacherzählung aus neuer Perspektive. Everett gibt der Erzählung einige Twists – nicht nur der Biografie der Hauptfigur betreffend, sondern auch im Verhältnis zwischen Schwarzen und Weißen. Besonders erwähnenswert ist hier das Thema Sprache. Die Sklaven sprechen in einem etwas dümmlich anmutenden schwarzen Südstaatendialekt – allerdings nur, wenn sich Weiße in der Nähe befinden. Ansonsten sprechen sie wie die Weißen auch. Diese Sklavensprache ist eine Überlebensstrategie: Es soll den Sklavenhaltern das Gefühl geben, überlegen zu sein. Sie ist auch Quelle der humoristischen Momente dieses Textes.

Bei der Übersetzung dieses Dialekts hat der Übersetzer Nikolaus Stingl die weise Entscheidung getroffen, eine gänzlich neue deutsche Entsprechung zu erfinden, anstatt auf ein klischeebehaftetes “Ausländerdeutsch” zurückzugreifen (was der Sache auch vom Sinn her nicht entsprochen hätte).

Trotz des Humors: Des einen Abenteuer ist des anderen Schrecken. Und in James gibt es natürlich einige Szenen, die den Horror der Sklaverei eindringlich heraufbeschwören. Everett legt mit James gekonnt seinen Finger in die immer noch offene Wunder der amerikanischen Gesellschaft und er macht dies anhand eines Protagonisten, der in Sachen Charisma seinem gegenüber Huck in nichts nachsteht. Es ist ein unheimlich luzide formulierter Text über Rassismus, Menschlichkeit und den amerikanischen Traum. Ein Triumph.

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James von Percival Everett ist bei Hanser erschienen.

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