Eine Spritztour durch San Francisco: Die Stories in Brontez Purnells 100 Boyfriends beginnnen mit Sätzen wie “I had out-trolled myself once again” und sind – dieser eine Satz ist schon Beweis genug – zu gleichen Teilen urkomisch und melancholisch. So locker wie die Sexualmoral dieser Erzähler führt uns 100 Boyfriends durch ein durchtriebenes San Francisco, unterhaltsam, versaut und oft ganz schön perspektivlos.
“Ich denke, also bin ich traurig”: I Hate You, Please Read Me von Joshua Dalton
Joshua Dalton ist ein junger Autor aus Texas, der am borderline personality disorder leidet. Die psychische Erkrankung vereint diese teils autofiktionalen Texte seiner ersten Sammlung I Hate You, Please Read Me, die – der ironische Titel zeigt es an – trotz aller Melancholie wirklich witzig ist. Sie zeigt auch, dass das Internet kein “Ort” für psychische Gesundheit ist.
Houston hat ein Problem: LOT von Bryan Washington
Bryan Washingtons Erzähldebüt LOT hat den Dylan Thomas Preis abgestaubt und nimmt den Leser mit in ein Amerika, das deutschen Lesern wie ein Dritte-Welt-Land vorkommen wird. Willkommen in den Arbeitervierteln der texanischen Metropole Houston.
Das flüchtige Glück: Grundlagenforschung von Anke Stelling
Anke Stellings Erzählband Grundlagenforschung taucht ab in die Kampfzone heterosexueller Paarbeziehungen, in denen ihre Protagonistinnen das Glück jagen und sofort misstrauisch werden, wenn es dann doch mal klappt. Es sind vierzehn schwungvoll erzählte Texte, die die Melancholie verkorkster Liebschaften humorvoll auflösen.
Das Leben kann zum Fürchten sein: Hotel der Schlaflosen von Ralf Rothmann
“Fear is a man’s best friend”: Dieses John Cale Zitat stellt Ralf Rothmann seinem neuen Erzählband Hotel der Schlaflosen als Motto voran. Es sind elf Erzählungen, in denen Angst oft tief in den Protagonisten eingenistet ist. Ein evolutionsbiologischer Überlebensmechanismus als Freund, der uns durch dick und dünn begleitet: Da schwingt die Hoffnung mit, auch das Schlimmste zu überstehen. Tröstend ist das allerdings nicht.
Dunkle Tage: Glossary for the End of Days von Ian Stansel
Nach seinem lesenswerten Debütroman The Last Cowboys of San Geronimo legt Ian Stansel mit Glossary for the End of Days seinen zweiten Erzählband vor. Das klingt nach Endzeitstimmung und passt doch sehr zum aktuellen Moment – Trump, Corona, Klima. Trübe Aussichten, Verunsicherung, der Wunsch, zurückzugehen und die Dinge zu ändern, verbinden die Texte dieser gleichsam melancholischen und einfallsreichen Sammlung.
“Man muss sich innerlich vollkommen leer machen”: Nach der Sonne von Jonas Eika
“Uff”, entfuhr es mir an mein Zukunfts-Ich denkend, das irgendwann vor seinem Laptop sitzen würde, also jetzt, während ich Nach der Sonne las und nicht wusste, wie soll ich darüber schreiben? Jonas Eikas Erzählband ist ein sprachlich virtuoser Zauber, vertraut und fremd, fiebrig heiß und klirrend kalt zugleich, der – durchaus politisch, aber ohne Parolen – die Realität aufschmilzt und darin Schlieren zieht.
Neun Lebewohl: Abschiedsfarben von Bernhard Schlink
Nach vielen Jahren ein Wiedersehen mit Bernhard Schlink: Obwohl mir Der Vorleser als Schüler vor inzwischen schrecklich langer Zeit unheimlich gefiel, verlor ich ihn aus den Augen. Jetzt ein neuer Erzählband, Abschiedsfarben, der die Frage aufkommen lässt: Warum eigentlich? Routiniert erzählt, fasziniert der Band mit dem nuancierten Facettenreichtum, dem er sich dem Abschiednehmen nähert.
Die Wahrheit in der Lüge: I Know You Know Who I Am von Peter Kispert
I Know You Know Who I Am: Also ich weiß du weißt wer ich bin ist der Titel von Peter Kisperts – so viel sei vorweg genommen – hervorragendem literarischen Debüt. Dem Erzählband gelingt das Kunststück, in verblüffend unterhaltsamen, zu gleichen Teilen witzigen wie tragischen Geschichten, nach der conditio humana zu fragen. Er entdeckt seine Erzähler in den Lügen, die sie über sich selbst erzählen.
“Gibt es fröhliche Clowns, und wie wäre das?”: Weiter atmen von Zsófia Bán
Man soll ein Buch ja nicht nach seinem Umschlag bewerten. Versuchen wir es trotzdem: Den Erzählband Weiter atmen von Zsófia Bán ziert Attila Szücs Gemälde Mann badet einen Löwen. Es wirkt etwas unscharf, putzig und dunkel zugleich. Verspielt, intim, absurd und unergründlich sind Adjektive, die mir durch den Kopf gegeneinander purzeln – und das ist dann auch eine ziemlich akkurate wenn auch wohl etwas uneindeutige Beschreibung meines Leseerlebnisses.