Abwechslungsreicher kann ein Buch kaum sein: Wlada Kolosowas Der Hausmann ist multiperspektivisch erzählt, vereint Prosa mit Graphic Novel und entführt den Leser in das Berlin abseits des S-Bahn-Rings. Hier findet sich Tim, der titelgebende Hausmann, mit seiner Freundin Thea wieder, nachdem sie aus der Wohnung am Maybachufer gentrifiziert wurden. Es ist ein abwechslungsreicher, unterhaltsamer Text nah am Puls der Zeit.
Menschliches Material: Zeremonie des Lebens von Sayaka Murata
Pullover aus Menschenhaar, Happy Future Food, Trauerfeiern, die in kannibalistischen Orgien münden: Sayaka Muratas Zeremonie des Lebens ist ein bemerkenswerter Erzählband, der vor allem durch inhaltliche Originalität zu überzeugen weiß. Die Japanerin erzählt mit verblüffender Selbstverständlichkeit von einer teils ungeheuerlichen nahen Zukunft (oder alternativen Realität?) und lässt den Leser die Sitten hinterfragen, in denen er lebt.
Koordinaten einer Familie: Erbgut von Bettina Scheiflinger
Der moderne Mensch ist kontinuierlich damit beschäftigt, sich selbst zu finden. Die Ich-Erzählerin in Bettina Scheiflingers Debütroman Erbgut sucht die Selbstverortung in der bewegten Geschichte ihrer Familie. Fragmentarisch und doch mit Weitwinkelobjektiv entsteht Seite für Seite ein Portrait, das mehr abbildet, als die eigene Sippe.
Wirklichkeiten: Die Gemochten von Lydia Mischkulnig
Lydia Mischkulnigs bei Leykam erschienener Erzählband Die Gemochten versammelt dreizehn wortgewandte, idiosynkratische Texte, die vor klugen Ideen strotzen, sich manchmal aber etwas zu verschlossen geben. Es ist ein überwiegend gelungener Band, dem man am besten häppchenweise begegnet.
Dunkle Zeiten: Lapvona von Ottessa Moshfegh
Die Gebrüder Grimm würden sich gruseln: Ottessa Moshfeghs vierter Roman Lapvona ist ein düsteres Mittelaltermärchen, in der die Unschuld einen schlechten Stand hat, Erlösung herbeigesehnt, aber nicht beizukommen ist. Dreh- und Angelpunkt ist dabei der Junge Marek, der – missgebildet und ungeliebt -, einen ganz und gar unvorhersehbaren Aufstieg erlebt, aber als Held genauso wenig taugt, wie die abscheulichen Menschen um ihn herum.
Neue Musik: Ateq & Orion / Danger Mouse & Black Thought
Zwei Platten, zwei Kollaborationen, jeweils wie aus einem Guss: Während die Techno-Produzenten Ateq & Orion der kürzlich verstorbenen Queen zu musikalischem Glanz verhelfen, bringen Danger Mouse & Black Thought eine bereits ein Jahrzehnt gärende Zusammenarbeit ans Licht.
Dem Meer so nah, so fern: So forsch, so furchtlos von Andrea Abreau
Zehn Jahre alt und schon gelangweilt: Die zwei Mädchen in Andrea Abreaus Debütroman So forsch, so furchtlos leben auf Teneriffa, aber das Meer sehen sie nur am Horizont. Fernab der Touristen tingeln sie in den Sommerferien durch ihr eher heruntergekommenes, ärmliches Viertel unterhalb eines Vulkans.
Herzensbildung in herzlosen Zeiten: Die karierten Mädchen von Alexa Hennig von Lange
Alexa Hennig von Langes neuer Roman Die karierten Mädchen ist ein Text des Erinnerns: Er erzählt vom Schrecken des Nationalsozialismus abseits der Front und der eigenen Familiengeschichte. Die Hauptfigur des Romans, Klara, ist an der Großmutter der Autorin angelehnt. Die besprach im hohen Alter Kassetten mit ihren Lebenserinnerungen. Die Autorin scheute lang, diesen Fundus aus über 130 Kassetten anzuhören. Gut, dass sie es schließlich getan hat.
Wach bleiben: Laborschläfer von Jochen Schimmang
Reiner Roloff ist Laborschläfer: Der studierte Soziologe mit gebrochener Erwerbsbiografie ist fast so alt wie die BRD und nimmt an einer Langzeitstudie zum Einfluss des Schlafs auf das Erinnern teil. Es ist also ein Roman des Zurückblickens, aber gewissermaßen auch des Sich-Findens. Jochen Schimmangs Laborschläfer ist auch ein Text, der sich ob seines Gegenstandes wenig überraschend mäandernd und voller Ruhe liest.
Die Gags, die das Leben schreibt: Just by Looking at Him von Ryan O’Connell
Elliot hat trotz Kinderlähmung erreicht, wovon andere träumen: Mit 35 Jahren lebt er in Los Angeles als Autor für eine erfolgreiche Sitcom und hat einen Partner, der ihn unterstützt. Ryan O’Connells Debütroman Just by Looking at Him erzählt in überaus unterhaltsamem Ton vom Überwinden von Widrigkeiten und davon, wie selbst die großen Träume schal werden können.