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Punk, Pep, Sterni: Zwischen den Dörfern auf Hundert von Lars Werner

Zwischen den Dörfern von Lars Werner“Alles sauber, aber nichts in Ordnung” (44): So fasst Benny die Situation bei sich zuhause zusammen. Er lebt, wie es der Titel Lars Werners Debütroman verrät, “zwischen den Dörfern” irgendwo vor den Toren Dresdens. Weil seine Eltern bei der Anmeldung fürs Gymnasium gepatzt haben, muss er jeden Morgen ins noch weiter entfernte Großenhain zur Schule. Ein Spießroutenlauf: Denn Benny ist neuerdings ein Punk und im Bus lauern Nazis.

Zwischen den Dörfern auf Hundert nimmt den Leser zurück ins Jahr des sogenannten Sommermärchens. Wir erinnern uns: 2006 ist Deutschland Austragungsort der Fußball-WM und die Deutschen verlieren plötzlich ihr Unbehagen beim Thema Patriotismus. Schwarz-Rot-Gold überall. Benny erlebt einen ganz anderen Sommer, denn als Punk lehnt er die neue Deutschtümelei natürlich ab. Benny weiß von den Dingen, die er ablehnt, aber von sich selbst noch nicht genug. Er ist ein Teenager, er probiert sich aus.

In seinem Dorf zwischen Dresden und Großenhain gibt es nicht viel Angebote für ihn. Ohnehin ist er bestrebt, so wenig Zeit wie möglich zuhause zu verbringen. Das Verhältnis zu den Eltern ist naturgemäß distanziert, vor allem zum Vater, der die Familie aus der Neubauwohnung in Dresden ins Haus auf dem Land verfrachtete und seitdem mehr Zeit mit seinen Excel-Tabellen verbringt, in die er alle Kosten penibel zusammenträgt, als mit der Familie. Ein Joghurt zu viel und schon hängt der Haussegen schief. In Großenhain findet der unsichere Teenager Anschluss. In der schläfrigen Kleinstadt gibt es zwar auch nicht viele Angebote für Jugendliche, aber immerhin etwas: “Entweder bei den Normalos mitschwimmen, Nazi sein oder – wie ich jetzt – hier im Rosaluchs abhängen” (31). Im Rosaluchs geht er zu seinem ersten Punkkonzert. Im Rosaluchs findet der unsichere Teenager eine Gemeinschaft, die ihn aufnimmt und ein Gegenpol zum Vater mit seiner fiskalischen Ordnungsliebe darstellt.

Bald verlagert sich das Geschehen nach Dresden, wo in der wilden Neustadt illegale Partys gefeiert werden, es Scharmützel mit Nazis und Ordnungshütern gibt und man berauscht von billigem Bier, Punk und Pep die Freiheit der Jugend genießt:

um große Ereignisse oder Abwechslung geht es uns auch gar nicht. Was zwischen ihnen liegt, ist wichtiger. All die wilden Behauptungen, die wir zur Weltlage aufstellen. Die bekifften Gedankenschlaufen, in denen wir uns verlieren. Unbekannte Freaks, die plötzlich in den Wohnungen auftauchen. Neue Methoden des Klauens im Supermarkt. Besoffen sein. Nach Hause torkeln (117).

Zum Rausch der Jugend gehört natürlich auch der Verlust der Unschuld. Von der kindlichen Naivität führt Werner seinen jugendlichen Protagonisten über Erfahrungen abseits der Familie durch eine Reihe Erfahrungen hin zum Verständnis seiner selbst und der Personen, die er bewundert, allen voran sein älterer bester Freund Arne, der ihn nach einer wilden Nacht unvermittelt küsst.

Zwischen den Dörfern ist mit den großen Augen eines Heranwachsenden erzählt, der seine Freunde cooler findet als sich selbst. Verfasst in einer Art erinnernden Ich-Erzählung im Präsenz, ist der Text eine klassische Coming of Age Geschichte, die von Dresdens Punk-Subkultur erzählt, aber in literarisch-ästhetischer Hinsicht aufgrund der letztlich doch konventionellen Erzählform nicht punkt ist, wie beispielsweise ein Dennis Cooper Roman. Für Ortskundige wie mich, der kurz nach der Jahrtausendwende nach Dresden kam, konserviert Zwischen den Dörfern einen Zeitpunkt Dresdens, als die Stadt allmählich die Wildheit der Nach-Wende verlor und wieder in altem, barocken Glanz erstarrte. Die Dresdner Neustadt, wie sie Werner hier beschreibt, mit ihren bunten Straßenfesten, halbsanierten Wohnungen, den Scheune-Punks und Kellerclubs ist an vielen Ecken hochpreisigen, investitionszentrierten Mietverhältnissen und Shisha-Bars gewichen. So gesehen erzählt Zwischen den Dörfern von zweierlei Verlusten naiver Jugend.

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Zwischen den Dörfern von Lars Werner ist bei Albino erschienen.

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