Die Gebrüder Grimm würden sich gruseln: Ottessa Moshfeghs vierter Roman Lapvona ist ein düsteres Mittelaltermärchen, in der die Unschuld einen schlechten Stand hat, Erlösung herbeigesehnt, aber nicht beizukommen ist. Dreh- und Angelpunkt ist dabei der Junge Marek, der – missgebildet und ungeliebt -, einen ganz und gar unvorhersehbaren Aufstieg erlebt, aber als Held genauso wenig taugt, wie die abscheulichen Menschen um ihn herum.
Nach vier Romanen, einer Novelle und einem Erzählband weiß man inzwischen, was man von Ottessa Moshfegh erwarten darf: Unappetlichkeiten physischer wie psychischer Natur sind ebenso Teil des Markenkerns wie skurrile Handlungen und ein fast schon nihilistisches Menschenbild. Diese ganz eigene, von einem abschätzigen Humor zusammengehaltene Mixtur hat die Autorin vom aufstrebenden Stern zur festen Größe der zeitgenössischen amerikanischen Literatur werden lassen. Ihr öffnet sogar Brad Pitt für ein Interview die Tür, um von seinen Träumen zu erzählen.
Lapvona ist ein typischer Moshfegh: Das titelgebende mittelalterliche Dorf wird gleich auf der ersten Seite von Banditen heimgesucht, die Frauen und Kinder abschlachten. Der scheinbar zufällige Überfall war aber – das erfährt der Leser bereits wenige Seiten später -, eine geplante Intervention des Herrschers Villiam. Villiam ruft die Plünderer und Mörder immer, wenn er vom Geistlichen des Dorfes von Unzufriedenheit im Volke erfährt. Bevor es also zu rebellieren beginnt, wird es von einer Tragödie abgelenkt.
Es ist eine Welt der Ungerechtigkeiten, voller Frömmigkeit und Gewalt. Im Zentrum der Geschichte steht Marek, ein missgebildeter Junge, der vom Schafhirten der Gemeinschaft erzogen wird. “Erzogen” ist euphemistisch zu verstehen: Liebe gibt es nicht, dafür gelegentlich Schläge. Die Missbildung des Jungen kann zweierlei Gründe haben: Einerseits versuchte seine Mutter ihn mit der Hilfe der sonderlichen Alten Ina – wortwörtlich eine Kräuterhexe – abzutreiben. Vielleicht sind die Fehlbildungen aber auch das Resultat von Inzucht, denn seine Mutter wurde von ihrem Bruder vergewaltigt. Der Schafshirte Jude fand sie nur kurz darauf mit abgetrennter Zunge im Wald, nahm sie gewaltsam zur Frau, bis sie wieder verschwand. Als Ersatzmutter diente dann ironischerweise eben jene Ina, an deren Brüste sich schon so gut wie alle Kinder des Dorfes labten – und dies im Falle des dreizehnjährigen Marek immer noch tun.
Das ist die Ausgangssituation in Lapvona. Der Roman ist in fünf nach den Jahreszeiten benannten Kapiteln unterteilt und ist eine Tour de Farce, wie sie wohl nur Moshfegh schreiben kann. Es ist eine Welt der Absonderlichkeiten und der Abscheulichkeiten, in der selbst der Junge Marek, von dem man als Leser anfangs annimmt, er sei der Held eines Coming of Age Romans im Stile von Junge mit schwarzem Hahn, trotz allem Gottglaubens die Dunkelheit in sich trägt. Die Erzählung – wendungsreich bis zur letzten Seite – nimmt Fahrt auf, als Marek seinen einzigen Freund, den Sohn des Fürsten, von einem Berg stürzt. Auch dieser Sohn ist zu Mareks Glück ein Kuckuckskind, sodass der exzentrische Herrscher Villiam nicht weiter erbost – unterhalten eher – über dessen Ableben ist und einfach Marek fortan zum Sohn nimmt. Der ist damit eigentlich fein raus: Im Luxus des Schlosses entgeht er einer fürchterlichen Dürre, welche die Bewohner Lapvonas zur drastischen, unappetitlichen Handlungen zwingt.
Der Leser ahnt es: Lapvona ist eine dunkle Odyssee, die so manchen Schrecken bereithält und mit Absonderlichkeiten nicht spart. Das ist manchmal etwas unangenehm zu lesen, zum Ende hin machen sich durchaus Ermüdungserscheinungen breit – auch weil man ahnt, wo das alles enden wird. Dennoch schlägt der Text, der dramaturgisch eher locker daherkommt, immer wieder Haken, die das bereits Geschehene in ein neues, oft noch düsteres Licht stellen.
Gleichsam ist Lapvona mit trocken-humorvoller Feder geschrieben, sodass sich der Roman trotz seines Inhalts nicht allzu verdrießlich liest. Dennoch: Erheiternd ist er nicht, was auch an dem zutiefst pessimistischen Menschenbild liegt, das ihm zugrunde liegt. Täuschungen, Intrigen, verrückte Zufälle lassen diese Welt unberechenbar und kalt erscheinen. Ganz gleich, wie groß die Gottesfurcht dieser Menschen ist, so opportunistisch sind sie oft auch – vom Adel über den Kleriker bis zum einfachen Hirten. Es sind weniger Menschen im humanistischen Sinn als bloße Kreaturen mit sinnlosen Leben, deren Frömmigkeit oft wie ein Tauschhandel wirkt, der Verwerfliches gut machen soll, aus dem egoistischen Ziel heraus geboren, um ein Ticket in den Himmel zu lösen. Moshfegh legt nahe, dass sich der Mensch, tauscht man Glaube durch Ideologie, seit dem dunklen Mittelalter nicht wirklich weiterentwickelt hat. Am Ende ist sich jeder selbst der Nächste. Barmherzigkeit wohnt hier nicht.
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