Allgemein,  Kritik,  Literatur

Das grenzenlose Ich: Null von Gine Cornelia Pedersen

Null von Gine Cornelia PedersenGine Cornelia Pedersens Debütroman Null wird vom Luftschacht Verlag als “poetisch-explosive Tirade” vermarktet. Es ist eine treffende Beschreibung: Hier lässt ein zügelloses Ich seinen Gedanken und Emotionen freien Lauf. Es ist ein erfrischender Coming of Age Text aus Norwegen, der die Klasse seines offensichtlichen Vorbilds Noah Cicero (The Human War) allerdings nicht ganz erreicht.

In den nuller Jahren sorgten einige junge, bei unabhängigen Verlagen veröffentlichte US-Schriftsteller für einige Aufmerksamkeit mit ihren existentialistischen, oft am Rand der Gesellschaft situierten Texten. Neben Sam Pink ist hier vor allem Noah Cicero zu nennen, dem mit The Human War ein kleiner Bestseller gelang. Wirklich im Mainstream kamen diese Autoren jedoch nie an. Ihr Stil war einigermaßen Radikal in dem Sinne, dass er etwas an die Gedichte Allen Ginsbergs erinnerte. Es ist eine unmittelbare Prosa, kurze Sätze, die jeweils – wie in einem Gedicht – auf einer neuen Zeile beginnen. Es sind auch kurze Bücher von weniger als 200 Seiten.

Diese formale Beschreibung der amerikanischen Untergrundliteratur der nuller Jahre lässt sich 1:1 auf Gine Cornelia Pedersens Debütroman Null übertragen. Zeilenweise rattert eine junge Ich-Erzählerin Hauptsätze mit minimaler Punktion herunter. Auf 177 Seiten bildet Null eine skelettale Erzählung ab, die vor der Pubertät beginnt und irgendwann in den Zwanzigern endet. Dreh- und Angelpunkt ist das unmittelbare Erleben, das hier geschildert wird und eine Reise von einem recht konventionellen, mit Barbies spielenden Mädchen zu einer psychisch labilen jungen Frau führt. Das Unbeschwerte endet hier recht abrupt nach wenigen Seiten:

WARUM BIN ICH HIER
Ich langweile mich so sehr, dass ich anfange, Wodka zu trinken
Ich rauche eine Bong, die ich mir aus einer Flasche gebaut habe
Ich ritze mir die Arme auf
Ich bin jetzt das klassische Beispiel eines frustrierten, unterdrückten Teenagers (16)

Aus dieser letztlich auch konventionellen Jugend-Rebellion kommt die junge Frau nicht mehr auf die rechte Bahn. Sie gibt sich diesem “Ich mache was ich will”-Hedonismus hin. Mit der Schule klappt es in der Folge nicht so gut, auch die Eingliederung in die Arbeitswelt scheitert, weil die Erzählerin die Tätigkeiten nicht als sinnhaft empfindet. Ein Leuchtstreifen im Leben dieser getriebenen Seele ist der aufkeimende, sich aus der vorpubertären Begeisterung für Leonardo DiCaprio speisende Wunsch, Schauspielerin zu werden. Doch der ist natürlich nicht so leicht erfüllt, die Frustrationstoleranz ist in dieser im ländlichen Bürgertum Aufgewachsenen äußerst gering (null könnte man sagen). Ihr Verhalten wird zunehmend erratisch, sie handelt impulsiv, bekommt ihre Emotionen nicht unter Kontrolle, das Über-ich, das hier immer wieder durchschimmert, kommt gegen das rasende Es nicht an. Derlei aus dem Gleichgewicht führt der Weg geradewegs in die Psychiatrie…

Gine Cornelia Pedersens Null zeigt ein völlig enthemmtes Subjekt, das keine Grenzen kennt und so der eigenen Vernichtung entgegenrennt. Das liest sich atemlos, die Augen haften auf den knappen Zeilen wie auf einem Unfall, von dem man nicht wegschauen kann. Ausgang offen.

*

Null von Gine Cornelia Pedersen ist bei Luftschacht erschienen.

Dieser Blog ist frei von Werbung und Trackern. Wenn dir das und der Inhalt gefallen, kannst du mir hier gern einen Kaffee spendieren: Kaffee ausgeben.