“Imitiere dein Idol so lange, bis du sein Verhalten perfekt kopiert hast” (10): Der namenlose Erzähler in Elias Hirschls Roman Salonfähig ist besessen von Julius Varga, einem aufstrebenden Kanzlerkandidaten einer konservativen Partei in Österreich, der stark an Sebastian Kurz erinnert. Als Leser verbringen wir einige Tage im Kopf dieses jungen Mannes, der in Wiens unfein feinen Gesellschaft unterwegs ist und mehr eine Abstraktion seiner Vorstellungen als ein Mensch ist.
… there is an idea of a Patrick Bateman, some kind of abstraction, but there is no real me, only an entity, something illusory, and though I can hide my cold gaze and you can shake my hand and feel flesh gripping yours and maybe you can even sense our lifestyles are probably comparable: I simply am not there. It is hard for me to make sense on any given level. Myself is fabricated, an aberration. I am a noncontingent human being (Bret Easton Ellis: American Psycho, 376-377).
Nur damit hier nicht der Gedanke aufkommen könnte, ich wäre gar kein echter Mensch, sondern nur ein unbestimmtes Wesen, ein nichtverankertes Konstrukt, eine Art Gedankensubstrat ohne klaren Umriss, eine Entität, die sich undefiniert als Wahrscheinlichkeitswolke in irgendeiner außerweltlichen Sphäre befindet und erst dadurch beginnt, klare Umrisse abzubilden, dass ein neugieriger Rezipient seinen entlarvenden Scheinwerfer auf mich richtet (59).
Elias Hirschl lässt früh in Salonfähig seinen namenlosen Erzähler auf eine späte Passage in Bret Easton Ellis’s postmodernen Klassiker American Psycho antworten. Es ist ein Meta-Moment mit doppeltem Boden, ein Moment, in den der im Präsenz verfasste Gedankenstrom dieses jungen Mannes durchlässig wird. Denn dieser Mann ist tatsächlich eine österreichische Version von Patrick Bateman, Protagonist einer beißenden Gesellschaftssatire, der weniger die psychische Entwicklung eines Individuums sondern eines ganzen Milieus abbildet. Diese eben zitierte Passage aus Salonfähig ist eine substanzlose Schutzbehauptung eines Mannes, der alles sein kann, wie Julius Varga sein will und weder sich selbst noch dem Leser verrät, wer er wirklich ist, er ist “fabricated, an aberration”.
Die Selbstbehauptung des Erzählers folgt dieser mit Ausführungen zu seiner materiellen/körperlichen Existenz: Seine Adresse, seine Größe, seine Impfungen, sein unbeschnittener Penis. “Ja, ich existiere wirklich”, vergewissert uns hier jemand, der über diese äußeren Merkmale hinaus aber keinerlei Eigenschaften hat. Er ist da. Und dennoch ist er es nicht.
Wirkung vor Substanz
Salonfähig ist eine Reise in die Welt des “Ibiza”-Österreichs. Ein Haufen glatter Männer mit politischen Aufstiegsambitionen im Kielwasser des charismatischen Kanzlerkandidaten treiben sich auf Parteiveranstaltungen rum, achten darauf, chic auszusehen, trinken Champagner, koksen und twittern und finden sich wunderbar. Der namenlose Erzähler ist Teil dieses Milieus, schwimmt mit und gibt alles, wie Julius Varga zu sein. Er geht zur Therapeutin, geht zur Rhetoriktrainerin, hat eine Morgenroutine, die Patrick Batemans strengem Regime in nichts nachsteht. Er achtet darauf “authentisch an den richtigen Stellen in der richtigen Intensität und der richtigen Lautstärke” zu lachen (78). Man ist besessen von Terroranschlägen, diskutiert deren Ästhetik, kommentiert jedes Leiden auf der Welt schlicht mit “Schlimm”. Man sagt die richtigen Sachen, doch welche trüben Absichten hier stecken, dringt nur selten an die Oberfläche. Sind hier Überzeugungstäter oder Opportunisten am Werke? Es ist eine Gesellschaft mit zweifelhaften Werten, die Oberfläche, das Erscheinungsbild für sich ist interessant. Wieder fühlt man sich an Bret Easton Ellis erinnert, diesmal Glamorama: „We slide down the surface of things“.
Wie Batemans Gedankenstrom ist auch der des Mannes in Salonfähig eine zutiefst unzuverlässige Erzählung eines äußerst instabilen Subjektes. Die Erzählung zittert zum Ende hin immer mehr: Wir folgen einem Mann, der eigentlich ein anderer sein will und selbst keinen Kern hat. Unterschwellig treibt ein Vernichtungsgefühl immer stärker an die Oberfläche des Textes, der sich überwiegend sehr unterhaltsam liest. Es hat beinah etwas von Boulevard: Wer vögelt wen, wer trägt was und wer bekommt welche Position. Geradezu nebenbei nimmt Hirschl dabei neoliberale Glaubenssätze auseinander und führt sie ad absurdum: “wie soll man man selbst bleiben, wenn man versucht, derjenige zu sein, der man sein möchte?” (179).
Salonfähig ist ein starker Roman, der sich an einem starken Vorbild orientiert, ohne es zu plagiieren. Der Mensch bewegt sich scheinbar zyklisch durch seine Zeit. War Bateman in Ellis’s prophetischem Roman ein großer Fan von Donald Trump, der wie der Erzähler aus Salonfähig zu einer Gesellschaft mit zweifelhaften (ohne?) Werten dazugehören wollte, zeigt Hirschl hier das Österreich der Ibiza-Affäre mit scharfer Klinge. Nach Ameisenmonarchie und Mein Lieblingstier heisst Winter die stärkste Satire auf die Ära Kurz.
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Salonfähig ist bei Zsolnay erschienen.
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