Oh weh, ostdeutsche Pampa steht da im Klappentext und auf der Buchrückseite von Ulrike Almut Sandigs Romandebüt Monster wie wir. Da kullern einem doch schnell viele Klischees durch die Birne. Aber Monster wie wir ist gar nicht so zwingend ein Roman über Ostdeutschland oder blühende Landschaften, die nie übers Keimstadium hinaus kamen – zumindest nicht vordergründig. Eigentlich geht es um Menschen, die kein Zuhause haben – ein Zuhause, das Geborgenheit bedeutet.
Monster wie wir erzählt von Ruth und Viktor, die in den letzten Jahren der DDR irgendwo im ländlichen Sachsen groß werden. Der erste Teil wird von Ruth erzählt, die in einem Pfarrhaus aufwächst, in dem es mit der Nächstenliebe aber nicht so gut zu klappen scheint. So hält sie eine Ohrfeige “für das natürliche Ende eines Gesprächs” (22). Ihre Ich-Erzählung richtet eine inzwischen Erwachsene und als Musikerin arbeitende Ruth an einen gewissen Voitto, dem der Leser aber nie begegnet und wohl ein verloren gegangener Liebhaber ist. Abgesehen von ihrem großen Bruder Fly ist Viktor ihr bester Freund, wie sie ist er ein Außenseiter.
Ruth und Viktor eint darüber hinaus etwas, über das beide nicht so wirklich miteinander sprechen: Sie werden beide missbraucht. Während Gewalt für Ruth im Elternhaus beginnt und in den Armen ihres Großvaters, den sie als sie aussaugenden Vampir imaginiert, am eigenen Körper erfahren wird, erduldet Viktor still, wie er vom Partner der Halbschwester regelmäßig vergewaltigt wird – im scheinbaren Wissen dieser Halbschwester. Er macht sich stark – trainiert wie besessen im Kinderzimmer, stählt sich und sucht sich die falschen Freunde. Post-Wende ist er dann ein Nazi.
Der zweite Teil des Romans erzählt aus der dritten Person von Viktor, der nach einem Vorfall und allgemeiner Perspektivlosigkeit unter falschen Angaben als Au-Pair in Südfrankreich anheuert und diesmal Zeuge von Missbrauch wird. Der dritte und kürzeste Teil ist wieder bei Ruth, die für ein Konzert in die alte Heimat zurückkehrt und auf den ominösen Voitto wartet.
Die Leerstellen zwischen diesen Teilen erzählt Ulrike Almut Sandig nicht zu – tatsächlich würde vor allem Viktors Teil für sich allein wunderbar als eigenständige Coming-of-Age Novelle funktionieren. Das Private und das Politische, also kriselnde Familien in einem kriselnden Staat, verbindet sich eher assoziativ. In erster Linie erzählt Monster wie wir von häuslichen Gewalterfahrungen und Wegen, sie zu überstehen. Und von der Heimatlosigkeit, die sie mit sich bringt. Am Ende bringt ein Bild die privaten und – wenn man so will – politischen Gewalterfahrungen zusammen: Da steht Ruth vor einem Krater, der einmal ihr Heimatort war und der Kohle weichen musste. Zuhause als privater, geografischer und politischer Ort: Für Ruth, Viktor und viele andere in “der ostdeutschen Pampa” ist er verloren gegangen.
Monster wie wir ist das Romandebüt einer Lyrikerin und erwartungsgemäß voller Bilder und sprachlich sehr elastisch, was so viel bedeuten soll, dass der Text nicht in einem Ton geschrieben ist. Ruths Ich-Erzählung ist in ihrem Tonfall trotz des Inhalts beinah lapidar plauderhaft, in Viktors Teil weniger verspielt, in seiner Ruhe fast mechanisch. Sandig gibt ihren Leser viel Freiraum, die Lücken zwischen den einzelnen Teilen auszufüllen und Verbindungen zwischen dem Politischen der “ostdeutschen Pampa” und den individuellen Gewalterfahrungen der Kinder zu finden. Das lässt den Roman auch etwas uneben wirken – bei den Verwerfungen, von denen er erzählt, wahrscheinlich gar nicht der schlechteste Effekt.
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Monster wie wir ist bei Schöffling & Co. erschienen.
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