Alexa Hennig von Lange hat für ihren Roman Kampfsterne viel Aufmerksamkeit bekommen letztes Jahr. Ihr vielstimmiges 80er Jahre BRD-Gesellschaftsportrait ist ein rasant erzählter Text, der sich zum Ende hin zu überschlagen drohte. Ihr neuer, halb so langer Roman Die Weihnachtsgeschwister bietet weniger dramaturgischen Bombast und gehört für mich zu ihren besten Texten seit dem Debütroman Relax und der Novelle Woher ich komme. Er passt natürlich auch wunderbar in die Jahreszeit.
Neben Parfüm und Omas Häkelsocken zählen Bücher sicher zu den klassischsten Weihnachtsgeschenken. Die Weihnachtsgeschwister empfiehlt sich hier natürlich als thematisch passende Gabe, die Beschenkte mit Vergnügen zur Verarbeitung weihnachtlicher Nachwehen zwischen den Jahren lesen können. Der kurzweilige Roman eignet sich aber auch wunderbar zur Einstimmung auf den ganz normalen Wahnsinn unterm Weihnachtsbaum.
Jeder hier am Tisch war ein Risiko für den Familienfrieden (S. 32).
Anders als Kampfsterne – und für die Autorin auch eher selten – ist Die Weihnachtsgeschwister aus der dritten Person erzählt, die alternierend auf die drei Geschwister Tamara, Elisabeth und Ingmar fokalisiert. Der Roman beginnt am Vortag von Heiligabend mit Tamara, der Ältesten und durchaus Hauptverantwortlichen für die innerfamiliären Spannungen. Sie hat eine Art Midlife Crisis: Zwar ist Tamara promoviert – was sie auch gerne durchblicken lässt – hat aber keine Karriere gemacht. Sie sieht ihre Situation als “Lebenszeit in Tupperdosen verpacken” (S. 10) doch “In ihr war so viel Hunger” (S. 20). Elisabeth ist das hamoniebedüftige mittlere Kind, das schon zwei Ehen hinter sich hat, dafür aber als Übersetzerin arbeitet – was Tamara ihr offensichtlich neidet. Ingmar ist mit einer kontrollierenden Partnerin zusammen, beide legen bei der Erziehung der Kinder (alle Geschwister haben jeweils zwei) viel Wert auf Fair Trade und Bio. Natürlich strafen sie Menschen mit Verachtung, die es da nicht ganz so genau nehmen.
Die Gemengelage ist also durchaus explosiv: Die Geschwister haben sich voneinander entfremdet, die Dynamiken haben sich verändert. Missgunst um Sympathien untereinander (und zu den Eltern) bestimmen das Zusammensein wie die Bewertung der disparaten Lebensentwürfe: So gesehen gelingt Henning von Lange hier im Kleinen das besser, was Kampfsterne sein sollte – Schieflagen im Miteinander in der heutigen Gesellschaft aufzublättern. Sie zeigt drei Geschwister, die nicht einmal zu Weihnachten den Frieden wahren und Konsens finden können. Auffällig ist, dass das Christentum in dieser Weihnachtsgeschichte keine Rolle spielt. Es fehlt etwas Einendes: Drei Menschen, drei Glaubenssätze und jeder ist überzeugt, im Recht zu sein. Dabei geht es auch um Einflussnahme (gegenüber anderen Geschwistern und natürlich den Eltern). Jeder trägt seine Argumente vor, ohne auf die Perspektive des Anderen einzugehen – unbewegbare Positionen. Diese Familie ist also ein kleiner Mikrokosmos, der sich in Teilen wunderbar auf das große Ganze übertragen ließe.
Ein bisschen musste ich beim Lesen an Franzens Korrekturen denken, wenngleich Die Weihnachtsgeschwister weniger ambitioniert oder tiefschürfend ist. In erster Linie bringt dieser unterhaltsam erzählte, kurze Text wunderbar den alltäglichen Weihnachtswahnsinn auf den Gabentisch und erzählt dabei vom Auseinanderdriften und der Wichtigkeit des Zusammenkommens. Ein schönes Buch.
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Die Weihnachtsgeschwister ist bei Dumont erschienen.
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