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Wohin mit der Wut? Wenn wir lächeln von Mascha Unterlehberg

Rezesnion Wenn wir lächeln von Mascha UnterlehbergJara und Anto sind beste Freundinnen, nennen sich aber lieber Schwestern. Und sie sind ziemlich aggro drauf: Mit Baseballschlägern bewaffnet, ziehen die Teenager durch die Stadt. Schaden nehmen aber eher Autos als Menschen. Es ist eine intensive Freundschaft, die, aus Jaras Sicht betrachtet, nicht immer auf Augenhöhe erscheint. Wie gut kennen wir unsere Freunde, wie gut kennen wir uns selbst? Wenn wir lächeln von Mascha Unterlehberg ist ein bemerkenswerter Coming-of-Age-Roman, strukturell originell, inhaltlich aufwühlend.

Jara steht auf einer Brücke über der Ruhr und schaut nach unten: Irgendwo unter Wasser ist ihre beste Freundin Anto. Ist es nur ein Spiel? Eine schiefgelaufene Mutprobe? Soll sie die Polizei rufen? Oder macht sie sich mit ihrer Angst lächerlich?
In Jara – das macht nicht nur die Eröffnungsszene deutlich, die sich fragmentarisch im Zeitlupeneffekt fast über die gesamte Erzählung spannt – zeigt sich eine tiefe Verunsicherung. Auch ihr sonstiger Umgang mit Anto und ihren Mitschülern zeugt davon. Und die mündet in brodelnder Wut, die Jara lange Zeit mit Fußball auffangen kann. Sie spielt mit den Jungs. Irgendwann taucht Anto dort auf. Spielt schlecht. Aber trotzdem freundet man sich an, hängt beinahe täglich aufeinander. Man geht klauen. Man verdämmert Autos. Geht saufen. Oft alles in einer Nacht.

Doch da ist auch ein Ungleichgewicht zwischen den Freundinnen: Jara betrachtet Anto mit einer Mischung aus Liebe, Misstrauen und Ehrfurcht. Anto ist selbstbewusster, kommt beim anderen Geschlecht besser an. Anto ist auch wohlhabender: Ihre Mutter ist fast nie zu Hause, reist durch die Welt, verdient viel Geld. Das Klauen hätte Anto also gar nicht nötig – es ist Spiel und Freizeitbeschäftigung. Beide Teenager haben als familiäre Bindung nur ihre Mütter – Geschwister oder Väter kommen nicht vor. Und so erscheinen Männer hier nur als das Andere, als Gefahr, als Verführung, als Quelle von Formen der (gesellschaftlichen) Gewalt.

Eine Ahnung der Gefahr, der Eskalation, spannt Wenn wir lächeln. Zwar bewegt sich der Text überwiegend chronologisch, ist gleichzeitig aber auch gedehnt und fragmentiert: Dreh- und Angelpunkt der Erzählsituation ist für weite Strecken der Moment auf der Brücke, als nicht klar ist, was mit Anto passiert ist – wie Schrödingers Katze ist sie tot und lebendig zugleich. Diese bangen Sekunden oder Minuten des Wartens bricht die Autorin durch Erinnerungen an diese Freundschaft auf. Diese springen oft assoziativ, sind aber nie desorientierend. So schafft Unterlehberg das Kunststück, Fragmentierung und Tiefe zugleich zu erzeugen. Organische Sprünge, die die Beziehung der beiden Protagonistinnen ausleuchten, ohne allzu erklärend zu sein. Damit bleibt sie der eingeschränkten Perspektive ihrer Ich-Erzählerin treu. Die fragmentarische Form spiegelt dabei wunderbar die emotionale Aufgewühltheit, Verunsicherung und Orientierungslosigkeit wider.

Unterlehbergs Wenn wir lächeln ist ein bestechender Coming-of-Age-Roman, der wagt und gewinnt. In den Bestsellerlisten muss er sich zwar weit hinter Das Leben fing im Sommer an von Christoph Kramer anstellen, läuft literarisch gesehen aber locker Runden um diesen anspruchslosen, wenn auch unterhaltsamen Text. Jara kickt definitiv mit mehr Biss als Chris!

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Wenn wir lächeln von Mascha Unterlehberg ist bei DuMont erschienen.

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