Auch wenn Roman draufsteht: Suzumi Suzukis Debüt Die Gabe ist eher eine Novelle. Auf knapp mehr als 100 Seiten erzählt eine junge Frau in lakonischem Ton aus ihrem Leben im Rotlichtviertel Tokios und von ihrer sterbenden Mutter. Ein paar Wochen verbringen die Leser mit der Erzählerin, deren Leben leise, aber soghaft einem Endpunkt entgegensteuert.
Suzumi Suzuki ist Soziologin und Kolumnistin, blickt aber – wie man dem Klappentext zart entnehmen kann – auch auf Erfahrungen in der Erwachsenenindustrie zurück. Ihre junge Erzählerin lebt in diesem Milieu: Sie arbeitet in einer – für den Europäer wahrscheinlich eher fremden – Host Bar. Hier werden junge Frauen und Männer dafür bezahlt, alleinstehenden Gästen Gesellschaft zu leisten und den Getränkeumsatz anzukurbeln. Prostitution gehört allerdings nicht zur Stellenbeschreibung, dürfte aber nicht ausgeschlossen sein. Die Erzählerin steigt aus dieser Arbeitswelt jedenfalls aus. Die Gabe beginnt mit dem Einzug ihrer schwer krebskranken Mutter, die in die kleine Wohnung im Rotlichtviertel kommt, um ein letztes Gedicht zu schreiben. Nach zehn Tagen verschlechtert sich ihr Zustand derart, dass sie ins Krankenhaus muss.
Der Lebensrhythmus der Erzählerin ist von einer gewissen Monotonie geprägt. Refrainartig eingeflochten ist der Rhythmus der klackenden Türen, wenn sie nach Hause kommt – Geräusche wie ein Strohhalm der Beständigkeit, an den man sich festhalten kann. Ansonsten verbringt sie die Zeit im Krankenhaus oder in einer Host Bar, wo sie sich dem einstigen Host einer Freundin, die Selbstmord begangen hat, nähert. Man sieht: Der Tod geistert durch diese Seiten. Der Ton bleibt dennoch ruhig. Die Gabe erinnert – wenn auch nur stilistisch – an Bret Easton Ellis’ Debüt Less Than Zero insofern, als der Text Taubheit zum atmosphärisch bestimmenden Gefühl macht.
Mit dem Tod der Freundin im Rücken und dem frühen Tod der Mutter in Aussicht läuft die Erzählerin fast wie ferngesteuert durch ihr Leben. Introspektion gibt es weniger, als man es unter den Umständen vielleicht erwarten würde, wenngleich ein nicht unkompliziertes Verhältnis zur Mutter, die der Erzählerin einst eine schwere Verletzung zufügte, den meisten Raum einnimmt.
Das führt natürlich zu der Frage, worum es in diesem Text, der sich vordergründig um käufliche Gesellschaft und den Tod dreht, wirklich gehen könnte. Die Gabe zeichnet zumindest ein Bild der Entfremdung in der japanischen Großstadt – man ist viel mit sich allein, kann Gesellschaft gegen Geld aber einfach haben. Vielleicht geht es auch um die Spuren, die Menschen in einem hinterlassen, sichtbar und unsichtbar, aber auch um den Wert – materiell und immateriell – den wir uns anhaften.
Eine gelungene Erzählung.
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Die Gabe von Suzumi Suzuki wurde von Katja Busson übersetzt und ist beim S. Fischer Verlag erschienen.
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