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“Alles ist nur ewiger Wiederbeginn”: Rosablanche von Matias Jolliet

RosablancheAuf dem Gipfel, über den Dingen: Matias Jolliet schickt seinen Erzähler auf den Gipfel Rosablanche in den Walliser Alpen: Es ist ein Werk der An- und Entspannung, der Besinnung und der Lösung von allem Weltlichen, sofern das Weltliche den Menschen betrifft. Rosablanche ist eine Reise in die Natur und als solche auch eine aus sich hinaus.

Was den Erzähler wirklich antreibt als mäßig erfahrener Wanderer sich auf den beschwerlichen Weg gut 3.000 Meter über dem Meeresspiegel zu begeben, wird auf den 98 Seiten dieser Wandernovelle nie so richtig deutlich. Die Leerstelle füllt die Fantasie des Lesers – der Stress des modernen Lebens, vielleicht eine zerbrochene Beziehung. Der Anlass scheint nicht wichtig, sondern der innere Kampf mit sich selbst bei der Bewältigung der selbst auferlegten Aufgabe: Ausgestattet mit Wanderequipment und ansonsten auf sich allein gestellt, wagt der Erzähler den Gipfelsturm in alpinem Terrain. Es ist eine Fokussierung auf die Aufgabe an sich: Es ist keine Zeit, um sich über den Dingen des Alltags den Kopf zu zerbrechen – hoch oben fern der Zivilisation finden die Alltagssorgen “keinen Anknüpfungspunkt mehr” (15). Das menschliche Ego hat hier keinen Nutzen, der Erzähler findet “mit Erleichterung zu einer Art Anonymität zurück” (20). Rosablanche ist eine Erzählung der Gegenwärtigkeit: Geschrieben in der ersten Person Präsens, steigt der Leser Schritt um Schritt mit dem Erzähler auf und lässt die Zwänge der Gesellschaft zurück.

Man muss tief in den dunklen Schichten des eigenen Wesens wühlen, um auf die kleine Flamme des Willens zu stoßen, die dort wie ein Bergkristall schimmert. Hat man sie gefunden,, muss man sie mit den Händen zärtlich umschließen und behutsam mit dem Atem anfachen (11).

Und während der Weg nach oben beschwerlich und nicht ohne Gefahren ist, reist der Leser erster Klasse mit und bekommt – davon lebt dieses Buch – erstklassige Naturbeschreibungen im Komfort seines Leseorts serviert:

Plötzlich, Szenenwechsel, springt am Himmel ein Funke auf! Erschrocken drehe ich mich um und sehe, wie sich die Gratlinie der Berge auf der ganzen Länge entzündet hat, verwandelt in ein glühendes Flammenmeer (8).

Rosablanche reiht sich ein in einer lange aber heute nur noch spärliche gepflegte Tradition literarischer Wanderungen – keine vom menschlichen Ego und zivilisatorischen Zwängen getriebenes Drama bindet den Leser an diese Seiten, sondern die Lust der Selbsterfahrung in einer Natur, die dieser mit majestätischer Gleichmut entgegen steht.

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Rosablanche von Matias Jolliet ist bei Edition Bücherlese erschienen.

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