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Ein Sommer für die Ewigkeit: Hard Land von Benedict Wells

Ein Sommer für die Ewigkeit: Hard Land von Benedict WellsGrady, Missori, 1985: Der 15-jährige Sam hat es nicht leicht. Er hat keine Freunde und seine engste Verbündete ist sterbenskrank. Benedict Wells neuer Roman Hard Land ist eine Ode an die Jugend und eine Hommage and die Texte, die sich ihrer widmen. Ein schöner Text über einen aufregenden Sommer, über den Aufbruch eines Jungen, der sich aufmacht, ein Mann zu werden.

“In diesem Sommer verliebte ich mich, und meine Mutter starb” ist der starke erste Satz eines Romans, dessen Figuren gerne die ersten Sätze von Büchern zitieren und der insgesamt nicht arm an Referenzen ist – neben der Literatur vor allem an die Musik und die Filme der 80er Jahre. Der Titel des Buchs ist schon so eine Art Referenz, ist es doch der Titel eines Gedichtzyklus des einzigen Dichters, der aus Grady jemals einen Preis bekam. Auch Hard Land, dieser fiktionale Gedichtband, hat das Erwachsenwerden zum Thema und ist de Pflichtlektüre in der Schule. Sam trägt den Band häufig bei sich, zitiert daraus, reflektiert den Inhalt und somit gewissermaßen seinen eigenen Prozess des Reifens. Denn einen klassischeren, amerikanischeren Adoleszenzroman als ihn Benedict Wells mit Hard Land geschrieben hat, kann man eigentlich gar nicht schreiben. Es ist eine Hommage an die Texte, literarischer oder filmischer Art, die man selbst in seiner Adoleszenz mochte. Gibt es formal interessantere Texte über das Erwachsenwerden? Gewiss. Ist es etwas kurios, dass ausgerechnet ein Münchner einen so durch und durch amerikanischen Jugendroman schreibt? Vielleicht ein bisschen. Aber gewiss ist auch, dass wenn man sich beim Lesen an so klassische Texte wie Capotes Die Grasharfe, Stephen Kings Die Leiche (verfilmt als Stand by Me) und Dan MacCalls Jack der Bär erinnert (natürlich allesamt amerikanische Autoren), hält man einen, wenn auch nicht überaus bemerkenswerten, aber überaus gelungenen Coming of Age-Roman in den Händen.

Die Erinnerungen an diese drei klassischen Texte kommen nicht von ungefähr: Hard Land nimmt uns mit in den Sommer in der Südstaaten-Kleinstadt Grady, wo der fünfzehnjährige Außenseiter Sam dank eines Ferienjobs im örtlichen Kino endlich Anschluss findet. Seine drei neuen, zwei Jahre älteren Freunde hängen ebenfalls im Metropolis, dem kleinen, sterbenden Kino ab und sind ebenfalls Außenseiter. Kirstie, in die sich Sam natürlich verliebt, ist als eher burschikoses Mädchen bei den Mitschülerinnen nicht beliebt. Hightower ist zwar der Star der Football-Mannschaft, aber schwarz. Cameron stammt aus einer wohlhabenden Familie, ist aber schwul.

Für Sam ist es der Sommer des Erwachens und des Verabschiedens – wie sollte es in einem Coming of Age-Roman auch anders sein. Das ambivalente Verhältnis zu seinem Heimatort und zu seinem Vater sind zwei der Dinge, die es zu navigieren gilt. Im Zentrum stehen natürlich der schleichende Abschied von der krebskranken Mutter und der erstmalig erfahrene Rausch der Jugend. Prozesse der Aus- und Abgrenzung sowie der Initiation geben dem Text seine Dynamik, erzählt alles in der nostalgisch eingefärbten Erinnerung des Protagonisten, der von Kirstie schwärmt und gerne wie Marty McFly wäre, der auf der Gitarre romantische Lieder schreibt, Mutproben durchsteht und doch Abschied nehmen muss – von der Mutter, von den bald ans College gehenden, neu gewonnenen Freunden, von der Kindheit.

Benedict Wells erdet diese Höhen und Tiefen in seinem Gespür für den Ort und die Zeit, die er hier zum Leben erweckt. Als Leser lebt man sich schnell ein in Grady, ein Ort, der sich selbst verabschiedet, seitdem das ökonomische Zentrum des Ortes, die Textilfabrik, schloss. Wie die Figuren verändert sich der Ort ihrer Kindheit. Äußerlich und innerlich zerrissen ob der schönen Erinnerungen an kühne Sommer am See und der eingeschränkten Möglichkeiten hinsichtlich intellektueller und wirtschaftlicher Entwicklung, erleben diese vier Heranwachsenden zu einem Soundtrack von Bruce Springsteen und a-ha einen letzten großen Sommer, bis der in die Luft geworfene Ball der Jugend unausweichlich zu Boden fällt. Hard Land schleicht sich ins Herz des Lesers mit der Aufregung und Melancholie verstreichender Jugend, ohne inhaltlich oder formal Haken zu schlagen (oder genau deswegen?) – tatsächlich erklärt sich der Text in seinem etwas zu langen Epilog anhand einer von Sam und Kirstie angestellten Analyse des genannten Gedichtzyklus sogar selbst. Es ist also kein anspruchsvoller, fast schon didaktischer Text. Aber in Zeiten wie diesen wirkt er wie die Eisbombe an einem schlechten Tag – beruhigend und versichernd: Auch das geht vorbei.

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Hard Land ist bei Diogenes erschienen.

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