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Hygge Feelings: Unsere Stimmen bei Nacht von Franziska Fischer

Unsere Stimmen bei NachtHeimelich sitzt man im Wollpullover mit einer heißen Schokolade am regenbetröpfelten Fenster und schaut den Blättern beim Färben und Fallen zu: Es macht den Eindruck, dass Franziska Fischer mit ihrem zweiten Roman Unsere Stimmen bei Nacht dieses herbstliche Hyggefeeling in Romanform versprachlichen wollte. Allerdings erzählt der Roman ein ganzes Jahr in einer alten Berliner Villa, die das Heim einer ungewöhnlichen WG ist.

Schon das Debüt In den Wäldern der Biber hat etwas heimliges, als “ein Buch der Ruhe […] in einem wohligen Moll-Sound” habe ich es zu jener Zeit beschrieben. Die Protagonistin war etwas ratlos ob ihres zukünftigen Lebens zu ihrem Großvater gefahren und länger als geplant geblieben. Schwelgerisch spazierte sie durch die Wälder und renovierte sein altes Haus.

Im neuen Roman spielen wieder ein Haus und die Bedeutung von “zuhause” eine tragende Rolle. Gleichwohl jongliert Fischer mit mehreren Protagonisten und verlagert die Handlung in die Stadt, wenngleich Berlin hier als Ort kaum ins Gewicht fällt. Das Haus, eine alte Villa in einer ruhigen Straße, gehört Gloria und ihrem Mann Herbert. Beide sind über fünfzig, die Kinder sind flügge geworden. Da finanziell der Schuh drückt – Herberts Antiquariat läuft nicht – vermietet man die ehemaligen Zimmer der Kinder. Als letzte kommt Lou ins Haus, gewissermaßen die Hauptfigur, weil wir mit ihr die Erzählung betreten und sie den meisten Raum einnimmt. Sie ist um die dreißig und eine Rastlose: Selten hält es sie länger als einige Monate an einem Ort. Ebenfalls dabei sind ein Student sowie ein frisch getrennter Professor mit seiner Tochter.

Bei allen ist das Verständnis von „zuhause“ gewissermaßen im Wandel – sie leben in einer unbestimmten Gegenwart mit ungewissem Bild von der Zukunft: Ist diese WG eine Zwischenstation vor einem großen Aufbruch oder wächst etwas mit Permanenz daraus?

Unsere Stimmen bei Nacht ist wie der Vorgänger ein betont unaufgeregter Roman: Obwohl das Personal bei knapp 300 Seiten überbordend erscheint, alterniert die allwissende Erzählerin geschmeidig zwischen ihnen. Hektik oder Chaos kommen nicht auf. Manchmal wünscht man sich das jedoch. Denn zeitweise gibt Franziska Fischer den Beschreibungen von Gerüchen, Gefühlen und Gegenständen zu viel Raum. Selbst Geräte haben hier Befindlichkeiten: “Alissa klapperte ein bisschen auf der Tastatur herum, damit der Computer wieder aufwachte, und auch wenn er nicht gerade erfreut über die Störung wirkte […] (103). Wenn das Schweigen zwischen Personen ausnahmsweise nicht “dicht und klebrig” ist (223), unterhält man sich in der Küche bei Zimtschnecken und Kakao und erinnert sich an die Großmutter.

Unsere Stimmen bei Nacht ist ohne Frage ein bildreicher Text für den nasskalten Herbst, man mummelt sich ein und liest davon, wie sich Fremde näher kommen, sich ein zuhause schaffen. Oft leidet der Roman jedoch an redundanten Details: Beispielsweise beschreibt Fischer eine Kommilitonin des Studenten ausführlich eine halbe Seite lang, ohne dass diese in der weiteren Handlung nochmals eine Rolle spielt. Dabei verpasst es die Autorin bei all der detailverliebten Schönschreiberei einige der Figuren interessant zu machen, die sie eigentlich ins Zentrum rücken will. Am besten gelingt ihr das zumindest bei Lou und besonders bei Gloria, deren Vergangenheit ein großes Geheimnis birgt, das der Erzählung zumindest im letzten Drittel etwas Spannung gibt.

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Unsere Stimmen bei Nacht von Franziska Fischer ist bei Dumont erschienen.

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